Das war vor fast dreißig Jahren, 1956 war mit heute nicht zu vergleichen! Andererseits, hatte sie nicht stets versucht ihre Tochter liebevoll zu erziehen? Verständnisvoll, von gegenseitiger Achtung geprägt. Helenes Mutter zeigte ihre Zuneigung auf ganz andere Weise. Für sie war ein Mädel, das noch zuhause wohnte, ein Kind. Sie war sehr autoritär, und in mancher Hinsicht sehr unnachgiebig. Sie hätte Emma niemals ausziehen lassen, sie stattdessen in ihre Schranken verwiesen. Helene war durcheinander, und in diesem Chaos der Gefühle fiel der verhängnisvolle Satz, der diese Situation erst hervorbrachte.
„Meine Mutter hätte sich solch ein Verhalten nicht gefallen lassen. Im Gegenteil! Sie hätte Dir deutlich gezeigt, was uneinsichtigen Mädchen am besten bekommt! Aber das war ja auch eine ganz andere Zeit. Du ziehst besser aus und lebst Dein Leben wie es Dir richtig erscheint. Von mir willst Du Dir ja nichts mehr sagen lassen! Und das ist unabdingbar für unser weiteres Zusammenleben!“
Helene hatte Tränen in den Augen und auch Emma kämpfte mit den unterschiedlichsten Gefühlen. Eigentlich wollte sie ja bei Helene wohnen bleiben. Sie wusste selbst, dass sie zu wenig für ihr Studium tat, und ein erfolgreicher Abschluss schwierig werden konnte. Sollte sie dennoch ihr Zuhause verlassen, um ihrem Drang nach Eigenständigkeit und totaler Freiheit folgen zu können? Emma wusste sehr wohl die Bequemlichkeiten zu schätzen, die ihr das Leben mit Helene ermöglichte.
Sie spürte jedoch, dass ein *weiter so* für ihre Mama nicht länger in Frage kam. Die Alternative hieß, dass sie sich unterordnete, und auf die mütterlichen Ratschläge hörte? Doch würde das auch genügen, nach all den heftigen Disputen der letzten Monate? Sie sah ihre Mutter fragend an. Was meinte sie mit dem Hinweis auf ihre eigene Jugendzeit? Wie wäre ein solcher Konflikt damals ausgefochten worden?
„Nur einmal angenommen, dass ich bei Dir wohnen bleibe, und mich bemühe etwas mehr für mein Studium zu tun. Wäre dann wieder alles gut zwischen uns beiden?“
Helene ärgerte sich nun über Emmas naive Fragestellung. Nein, so einfach würde sie es ihrer erwachsenen Tochter dann doch nicht machen. Emma brauchte eine Lektion, die ihr im Gedächtnis haften blieb. Wollte sie hier wirklich wohnen bleiben, würde es Bedingungen geben. Sollte sie nicht endlich das tun, was schon so lange in ihrem Kopf herum spukte? Mit verschränkten Armen antwortete sie, den Blick fest auf das Mädchen gerichtet.
„Emma, dass Du Dich mehr anstrengst wäre die Grundvoraussetzung für alles weitere. Dein unmöglich bockiges Verhalten mir gegenüber ist damit jedoch nicht aus der Welt geschafft. Ich habe es ja bereits angedeutet und wiederhole es nun. Bei Deiner Großmutter wärst Du ganz sicher nicht ungeschoren davongekommen, Fräulein!“
Dieser strenge Klang, den Helenes Stimme plötzlich hatte. Emma begann zu frösteln, obwohl die unerträgliche Sommerhitze für eine drückend schwüle Atmosphäre sorgte. Was sollte diese Anspielung auf Oma Inez? Emma konnte sich kaum an sie erinnern, da sie noch sehr klein war, als die Großmutter starb. Aus Erzählungen ihrer Mama wusste sie aber, dass mit ihr nicht gut Kirschen essen war. Sie hatte sich immer gefragt, was mit dieser Redewendung gemeint war? Wie Mama sie ansah! Irgendwas in diesem Blick verstärkte Emmas Unsicherheit. Sie fühlte sich in die Enge getrieben, was sie nicht leiden konnte. Das trotzige Mädchen suchte die Konfrontation, wie stets, wenn sie nicht weiter wusste.
Sie müssen sich anmelden, um Kommentare hinzuzufügen.