Zwischen Tod und Auferstehung - Teil I

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Zwischen Tod und Auferstehung - Teil I

Zwischen Tod und Auferstehung - Teil I

Gero Hard

In dieser Wohnung erinnerte einfach alles an sie. Knapp vier Wochen war sie nun schon nicht mehr bei mir und so langsam wurde es Zeit, dass ich mein Leben neu sortierte. Ich konnte schließlich nicht ewig bei meinen Eltern wohnen bleiben. Ergo, Tinas Sachen mussten in Kartons verschwinden und im Keller verstaut werden. Im Grunde viel zu früh, um alles wegzuräumen. Aber es gehörte in dem Moment zu meiner ganz eigenen Art der Trauerbewältigung. Wegwerfen konnte ich es nicht, es würde mir wie ein Rauswurf vorkommen und das war es ja nun wirklich nicht. Meine Eltern und Schwiegereltern halfen mir beim Einräumen und Verstauen. Im Keller entstand nach und nach so etwas wie „Tina’s Bereich“. Nichts anderes vermischte sich mit ihren Dingen.

Die paar wenigen Gegenstände, um die mich meine Schwiegermutter als Erinnerung bat, gab ich ihr gern. Ich würde sie nicht vermissen, dafür blieb mir genug anderes, was mich an sie erinnern würde.

Den Gedanken an den Selbstmord hatte ich verdrängt, wenngleich er auch noch nicht ganz aus meinem Kopf war.

Möglicherweise wartete ich nur auf die eine neue, passende Gelegenheit. DEN unbeobachteten Moment oder auf den nächsten depressiven Schub, der mir ausreichend Mut geben würde. Nach außen tat ich so, als wenn es mir mit jedem Tag besser ginge. Aber in Wirklichkeit sah es in mir mehr als trübe aus.

Es stimmte, was Tina und ich uns gesagt hatten. Ein Leben ohne den anderen war nur schwer zu ertragen. Für mich fühlte es sich an, als müsste ich neu leben lernen, so, als müsste man neu gehen oder sprechen lernen. Nichts war mehr so, wie ich es in den siebzehneinhalb Ehejahren gewohnt war. Weiße und dunkle Wäsche trennen, oder was ist eigentlich Buntwäsche? Für meinen Schatz war das kein Problem, für mich eine fast unlösbare Aufgabe. Aber Google wusste auf fast alles eine Antwort …

Meine Arbeitskollegen fingen mich ebenfalls auf, unterstützten mich, wenn meine Leistung deutlich hinter dem gewohnten Maß zurückblieb oder halfen mir, wenn Termine eingehalten werden mussten, redeten mit mir, wenn sie mich mal wieder am Boden sahen, oder besuchten mich abends, damit ich nicht alleine war und ins Grübeln kam.

Ich gebe es ehrlich zu, wenn ich meine Familien, meine Kollegen und unsere gemeinsamen Freunde nicht gehabt hätte, ich hätte es nicht geschafft.

„Du solltest dir noch ein paar Gespräche beim Profi gönnen.“, versuchte mein bester Freund und liebster Kollege Gero mich zu ermutigen.

„Wie meinst du das … Profi?“, konterte ich.

„Ein Psychologe. Wir glauben alle, es würde dir gut tun und könnte helfen, besser über deinen Verlust hinwegzukommen?“

„Ich bin doch nicht verrückt. Ich brauche doch keinen Seelenklempner!“, gab ich mich entrüstet.

„Doch mein Bester, den brauchst du. Dein Herz und deine Psyche haben einen ziemlichen Knacks bekommen. Ein bisschen Hilfe kann nicht schaden. Du bist nicht mehr der alte Leon, den wir hier alle schätzen und mögen und den wir 

gern zurück hätten, verstehst du?“ 

„So schnell kriegt man doch bei Fachärzten nie einen Termin. Kennst du doch, da wartet man schnell ein Jahr.“

„Ich weiß von meiner Frau, dass sich hier in der Nähe eine neue Psychologin niedergelassen hat. Sie hat bestimmt noch Termine frei und nimmt neue Patienten an. Versuch doch mal. Dr. Freya Angerer, in der Bürgermeister-Scholl-Straße. Ich war so frech und hab dir schon mal die Telefonnummer rausgesucht. Überleg’s dir! Würde mich freuen.“

Damit legte er mir einen Zettel auf die Tastatur, klopfte mir freundschaftlich auf die Schulter und verschwand wieder an seinen Schreibtisch. Ich sah ihm ne Weile nach und schüttelte ungläubig den Kopf. War es so offensichtlich, dass es mir auch nach vier Wochen noch nicht gut ging? Hatte ich mich wirklich so verändert?

Den Zettel steckte ich in meine Jackentasche. Gero hatte recht, schaden konnte es nicht. Und wenn sie es schaffen würde, mich weiter in meiner Trauerarbeit zu begleiten, wäre es eine Hilfe für mich und ein Gewinn für alle Personen um mich herum.

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„Praxis Doktor Angerer, Nadine Angerer, am Apparat!“ Die Stimme klang ungewöhnlich jung für eine Sprechstundenhilfe. Ich weiß, den Beruf nennt man heute anders, Medizinischer Fachassistent, oder sowas.

„Leon Stolberg, ich hätte gern einen Termin bei Frau Doktor und am besten so schnell wie möglich.“ 

„Einen Augenblick, ich frage meine Mama mal eben.“

Ich hörte, wie sie den Telefonhörer etwas unsanft auf die Tischplatte legte und sich schnelle Schritte näherten. Etwas Stimmengewirr im Hintergrund ließ mich schmunzeln. Ein Familienbetrieb sozusagen. Es machte die Ärztin für mich jetzt schon sympathisch, wenn sie ihre Tochter rechtzeitig ans Berufsleben gewöhnte. Und doch ließ es mich auch zweifeln, ob sie die Richtige für mein Problem sein würde.

„Dr. Angerer!“ Die Stimme war schon deutlich kräftiger als die eben gehörte.

„Mein Name ist Leon Stolberg und ich hätte gern schnellstmöglich einen Termin bei Ihnen.“

„Bitte entschuldigen Sie, das war meine Tochter eben am Telefon. Ihr Vater hat mich … T‘schuldigung, ich sehe gleich nach … “ Ich hörte sie in einem Buch blättern. Es dauerte. Die Chancen auf einen schnellen Termin standen anscheinend nicht so gut. „Wie sieht es denn zeitlich bei Ihnen aus?“, fragte sie.

„Da bin ich flexibel, mein Arbeitgeber stellt mich dann frei.“, antwortete ich in der Hoffnung, dass dadurch mein Termin etwas weiter nach vorne rückte.

„Morgen hat jemand kurzfristig abgesagt. Geht es gleich morgens um neun?“

Ich hätte mit allem gerechnet, damit allerdings nicht. Zufälle gibt’s … „Ja klar, das sollte klappen.“, froh, dass es so schnell geklappt hatte.

„Herr Stolberg, können Sie mir mit zwei oder drei Worten sagen, worum es geht?“

„Trauer, Corona, Selbstmordversuch.“, zählte ich ehrlich auf.

Es war still am anderen Ende der Leitung. Es hörte sich an, als wenn sie etwas mit einem Stift auf ein Blatt kritzelte.

„Ok, Herr Stolberg, hab ich notiert. Wir sehen uns dann morgen.“

„Ja, bis morgen und danke.“, kriegte ich gerade noch raus, bevor das Telefonat getrennt wurde.

Ihre Stimme hatte einen schönen Klang, so lieblich, weich und als Unterton sogar einen erotischen Touch. Allein ihre Stimme vermittelte mir den Eindruck, gut mit ihr zurechtkommen zu können. Völliger Blödsinn eigentlich, denn was sagt schon eine Stimme über fachliche Kompetenz aus. Dennoch war es so. Im Bett liegend versuchte ich mir das passende Gesicht zu der Stimme vorzustellen.

Sie klang wie eine Frau zwischen 20 und 30, mit einem hübschen Gesicht. Ich dachte, brünette oder blonde, lange Haare könnten gut zu der Stimme passen.

Ich nahm mir vor, mich nicht besonders auf dieses Gespräch vorzubereiten. Im Grunde hatte ich keine Fragen an sie. Es war ihre Aufgabe, sich durch gezielte Fragen, die ich ehrlich beantworten wollte, in meinem Seelenzustand zurechtzufinden. Soweit mein Plan und gleichzeitig auch meine Geschichte, bis …

… bis gestern …

Nun stehe ich vor diesem Altbau in der Innenstadt, der eher nach einem ‚normalen‘ Wohnhaus aussieht. Nichts deutet von außen darauf hin, dass hier eine Praxis versteckt ist. Nur ein kleines schmuckloses, weißes Schild zeigt mir, dass ich richtig bin. Gestern war ich noch ganz entspannt, neugierig zwar, was auf mich zukommen würde, aber nicht im Geringsten aufgeregt.

Und nun stehe ich hier, mit einem zittrigen Finger, der über dem Klingelknopf schwebt, sich aber nicht traut zu drücken. Auch die erfrischende Dusche, der mit Koffein schwangere Kaffee und auch nicht das teure Eau de Parfum können meine Nervosität kaschieren.

Dr. phil. Freya Angerer, Termine nur nach Vereinbarung und eine Telefonnummer steht auf dem Blechschild an der schweren Eingangstür zu dem Eingang in das Haus aus der Gründerzeit. Die Tür ist Ausdruck hervorragender

Handwerkskunst, aber das schwere Holz wirkt auf mich wie das Tor zu einer Festung.

Ein Summer gibt das Schloss frei und das Holz schwingt erstaunlich leicht nach innen auf. Leichter, als es mir fällt, inden gefliesten Flur zu treten. „Dr. Angerer, 1.OG“, zeigt ein roter Pfeil die Treppe nach oben.

Die Stufen haben eine angenehme Schritthöhe und trotzdem fällt es meinen Beinen schwer, eine nach der anderen zu betreten. Eine bleierne Schwere nimmt mir den sonst vorhandenen Elan.

Es dauert, aber die Tür zu den Praxisräumen ist irgendwann erreicht und steht leicht angelehnt offen. Ich klopfe vorsichtig.

„Herr Stolberg? Kommen Sie bitte rein.“, sagt eine Stimme von innen, die ich schon vom Telefon kenne.

Ein letztes, tiefes Durchatmen und dann stehe ich im Flur. Nur ein paar zaghafte Schritte schieben mich vorwärts.

Ich sehe keine Anmeldung, kein Tresen, an dem eine junge Frau nervös in Unterlagen wühlt und mich nach meiner Krankenkasse fragt, oder mich bittet, meine Versichertenkarte in ein Gerät zu stecken.

Der Flur ist klein, mit sauber verlegtem Laminat ausgelegt, der nur Platz für einen kleinen Schreibtisch, eine Garderobe, etwas Dekoration und 3 Wartestühle bietet.

„Ich bin hier!“ Da ist sie wieder, die sanfte, weiche Stimme, die mich zu einem Raum leitet. Eine letzte Tür, eine letzte Barriere, trennt mich von der Stimme.

Eine Frau kommt auf mich zu, sie will mir die Hand geben. Ich sehe sie an, falle in eine Schockstarre, unfähig auch nur einen einzigen Buchstaben über die Lippen zu bringen. Ich bin leichenblass und meine Knie zittern. Der Boden beginnt sich zu bewegen … Tina. Sie ist es, aber wie kann das sein? Ich weiß, dass sie tot ist und doch steht sie vor mir. Etwas kleiner ist sie geworden und eine andere Frisur hat sie auch. Kann es sein, dass sich ein Mensch in vier oder fünf Wochen so verändern kann? Und wieso sind ihre Brüste plötzlich ein bisschen kleiner geworden? Sie sieht so frisch und erholt aus, ist immer noch die hübsche Frau mit den zierlichen Füßen und dem schmalen Gesicht. Die neue Frisur mit den welligen, langen Haaren und der neuen Farbe steht ihr gut.

Dicke Tränen laufen mir über die Wangen. Ich bemerke es erst, als ich eine davon mit meiner Zunge ablecke und es salzig schmeckt. „T … Tina?“

Mit zwei oder drei schnellen Schritten falle ich nach vorne, ziehe sie fest in meine Arme. Überwältigt nach den vielen Wochen, in denen ich sie aus den Augen verloren hatte, übersäe ich ihren Hals und ihr Gesicht mit unzähligen Küsschen. Wie sehr hatte ich sie vermisst? Wie sehr ging mir ihr Blick im Gesundheitsamt unter die Haut? Wie sehr hat es mir das Herz zerrissen, sie nach der schlimmen Nachricht zusammenbrechen zu sehen?

Dann wurde sie mir genommen, meine Tina, in all den Wochen durfte ich sie nicht sehen. Sie sei gestorben hatte man mir gesagt, die Arme hatte ich mir deswegen aufgeschnitten. Und nun steht sie da, leibhaftig und fast noch schöner als vorher. Etwas ausgeruhter als ich sie in Erinnerung habe. Mir ist egal wie sie aussieht, ausgeruht oder nicht, dicke Pickel könnte sie im Gesicht haben, mir wäre es egal, Hauptsache, ich habe sie wieder. Nie wieder werde ich sie loslassen.

„Wie … ich dachte, du wärst … alle haben gesagt, dass du … ich habe doch an deinem Grab gestanden?“, weine ich in ihre Halsbeuge, in der ich mein Gesicht vergraben habe. Sie riecht anders als sonst, fällt mir auf, ungewohnt, aber gut.

„Tina? Nein, Herr Stolberg. Freya, Doktor Freya Angerer. Schön, dass Sie es einrichten konnten.“

„Nicht Freya, du heißt Tina, weißt du es denn gar nicht mehr?“ Unaufhörlich laufen mir die Tränen. Die Wiedersehensfreude ist unermesslich und lässt mich wie ein Schlosshund heulen.

„Herr Stolberg, wir sollten uns setzen, ich bin wirklich nicht Tina. Möchten Sie mir vielleicht von ihr erzählen?“

„Doch, du musst es sein.“

„Erzählen Sie mir von Tina, ist sie Ihre Frau?“

Wie kann sie behaupten, nicht Tina zu sein? Die Ähnlichkeit ist verblüffend, wie ein Zwilling sieht sie aus, die Frau Doktor.

Wie hypnotisiert starre ich aus dem Fenster, neben dem der Sessel steht, in den sie mich gedrückt hat. Meine Gedanken sind wirr. Gestern hatte ich verschiedene Szenarien im Kopf durchgespielt, wie dieses Gespräch verlaufen würde. Und wenn ich mit Vielem gerechnet habe, damit, hier jemandem zu begegnen, der meiner Tina zum Verwechseln ähnlich sieht, am allerwenigsten.

Langsam löse ich mich aus der Schockstarre. Wie peinlich und dumm ich mich benommen habe. Mein Gehirn hat mir einen ganz üblen Streich gespielt. Ich hatte eine mir völlig fremde Frau einfach geduzt, schlimmer noch, habe sie einfach in den Arm genommen, sie geküsst und mit meinen Händen ihren Rücken gestreichelt, bis sie mich sanft von sich gedrückt hat.

„Es tut mir leid, Frau Doktor, dass ich Sie geduzt, in den Arm genommen und abgeküsst habe.“

„Es ist ok, Herr Stolberg, ich werde es überleben. Aber ich würde mich freuen, mehr über Tina zu erfahren, damit ich es verstehen kann. Ist Sie Ihre Frau?“

„Sie war es.“, antworte ich mit wackeliger Stimme. Eine innere Stimme verrät mir, dass mich diese Frau nicht angelogen haben konnte. Sie ist tatsächlich nicht meine Tina. Ich schäme mich für meine Gefühle, die ich so unbedacht nach außen gezeigt hatte.

Erst langsam, zurückhaltend, beginne ich, beschreibe ihr meine Tina bis ins kleinste Detail, ihre Größe, Figur und die Feinheiten ihres liebreizenden Gesichtes. Ihre Haare, wie sie sich bewegt hat, ihren Charakter. Wie ähnlich ihr meine Tina war. Die Psychologin schreibt viel mit, nickt wissend. Manchmal lächelt sie, wenn ich zu sehr ins Detail gehe, als ich das Wesen von Tina beschreibe.

Die erste Stunde vergeht wie im Flug. Ein Gefühl der Erleichterung erfasst mich. Es hat gut getan, ihr meine Geschichte

zu erzählen, obwohl sie erstaunlich wenige Fragen gestellt hat. Eigentlich hat sie nichts getan, als nur dazusitzen und mir zuzuhören. Aber allein, wie sie das tut, ihre Art zu sitzen, wie sie ihre Beine übereinander schlägt, ihre Mimik und Gestik, wie sie den Kopf schräg legt, wenn sie offenbar etwas sehr süß findet. In allem ist sie meiner Tina so ähnlich.

Vermutlich fällt es mir deshalb so leicht, offen über alles zu reden. Ich habe ihr sogar erzählt, wie schön ich den Körper von meiner Frau fand, wie sehr ich ihre Rundungen mochte. Verdammt Leon, da hast du dir ordentlich einen geleistet. Und doch scheint es ihr nichts auszumachen, dass ich meine Gefühle, Emotionen und Eindrücke so detailreich geschildert habe. Frau Doktor ist eben doch ein Vollprofi.

Mit einem neuen Termin in der Tasche fahre ich zur Arbeit, wo mich Gero gleich ausfragt. Wie ist sie so, wie alt, wie sieht sie aus … ich lächele nur verträumt und lasse ihn einfach stehen.

Der Tag ist komischerweise leichter als die Tage davor. Ich ertappe mich dabei, wie ich immer wieder an Freya Angerer denken muss. Und immer, wenn das passiert, werde ich ein wenig rot und fange an zu lächeln. Etwas, was ich die letzten Wochen völlig verlernt hatte.

Freya: Ich bin froh, dass Nadine heute Schule hat. Es ist nicht leicht, als alleinerziehende Mama eine pubertierende, 14jährige Göre in gerade Bahnen zu lenken. Ok, manchmal hilft mir mein Psychokram, aber oft fehlt der männliche Einfluss in unserer Frauenwelt.

Ihr Vater? Ein absoluter Karrieretyp, ständig auf Reisen, ständig in fremden Betten, meistens mit fremden Frauen.

Er machte nie ein Geheimnis daraus, dass ich nicht die Einzige für ihn war. Aber eine magische Kraft zog mich unaufhaltsam in seinen Dunstkreis und fesselte mich dort, was wahrscheinlich den anderen Frauen ähnlich ging.

Es brauchte nicht viel, nur zwei Dinks, ein paar lockere Sprüche und eine entspannte Atmosphäre, bis wir unsere Telefonnummern getauscht und ein Date für den nächsten Abend vereinbart hatten. Zugegeben, ich machte ihm den Zugang zu meinem Höschen nicht besonders schwer, aber es lohnte sich auch.

Der Typ wusste, welche Knöpfe er bei mir drücken musste, damit ich meine nackten Schenkel um seinen ebenfalls nackten Arsch zusammenschlang und er mich ungehindert mit seiner prallen Rute aufspießen konnte.

Keine Diskussion darüber, dass ich auf ein Kondom bestand, daran hatte er von ganz allein gedacht. Die ständig wechselnden Geschlechtspartner machten es für ihn zur Selbstverständlichkeit. Er war verantwortungsvoll genug, um sich und andere zu schützen.

Entweder dieses schützende Gummi, oder etwas anderes hatte ihn ewig durchhalten lassen. Er schaffte es, mich so lange zu ficken, dass ich am nächsten Tag kaum gehen konnte. Jedenfalls nicht, ohne durch den Schmerz an und in meiner Muschel an den geilen Fick erinnert zu werden. Er hatte mich wund gevögelt und die Wundsalbe tat mir wirklich gut.

Irgendwann heirateten wir. Unser Sex war immer, sagen wir, ok. Wenn er nach einer Dienstreise zurückkam, fiel er nicht sofort über mich her. Das sichere Zeichen für mich, dass er sich in der Woche ordentlich das Horn abgestoßen hatte. Seine Hoden waren auch niemals wirklich geschwollen und groß, so wie ich es bei meinen Freunden vor ihm gewohnt war. Sie schienen mir immer eher klein und fast mickrig zu sein. Auch das ein eindeutiges Indiz dafür, dass andere Mösen nicht wirklich viel für mich übrig gelassen hatten.

Ich nahm es in Kauf, dass Frauen für ihn nur Mittel zum Zweck waren und deshalb war das Kondom unser ehernes Gesetz. Sogar, als wir an die Kinderplanung gingen, bestand ich auf ein Gesundheitszeugnis und er hatte Verständnis dafür. Ungewöhnlich für ein Ehepaar, aber ungewöhnlich war auch das Verhalten meines Mannes.

Nadine war geboren und mein Mann hatte sich immer gut um uns gekümmert. Er war liebevoll, zärtlich und fürsorglich. Uns fehlte nie etwas, bis ich durch Zufall erfuhr, dass er noch vier andere Kinder mit drei verschiedenen Frauen hatte.

Er nahm es wohl doch nicht so genau mit den Kondomen. Ich hatte also nur unglaubliches Glück, dass ich mir nichts Schlimmes eingefangen hatte. Die anderen Hühner waren mir ja egal, Hauptsache meine Grotte blieb ‚sauber‘. Das war dann der Moment, in dem ich die Trennung beschloss.

Nach der Scheidung bin ich in eine andere Stadt gegangen, in der ich mich als Psychologin niederlassen konnte. Hier kannte mich keiner, kannte auch meinen Mann nicht und nicht meine Probleme mit meiner Tochter.

Der Neuanfang tat mir gut, auch wenn es ohne die Bekannten und Freunde nicht leichter wurde, was mich oft mit verheulten Augen und unbefriedigt nach einem langen Tag, auf dem Sofa einschlafen ließ.

Viele Patienten hatte ich bisher noch nicht. Es musste sich erst herumsprechen, dass es eine neue Psychologin in der Stadt gibt. Als Leon Stolberg anrief, tat ich am Telefon so, als müsse ich nach einem Termin suchen und blätterte in einem Buch, das Nadine auf ihrem Schreibtisch vergessen hatte. Längst mache ich meine Termin mit einem professionellen Kalender auf dem PC.

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Leon Stolberg, mein erster Termin heute. Trauer, Corona, Selbstmordversuch, das alles klang nach einer ziemlich lukrativen Einnahmequelle, denn ‚mal eben so‘, hat man ein solches Problem nicht wieder wegtherapiert. Nach meiner Einschätzung dauert so etwas mindestens drei oder vier Monate. Da ist einiges an Trauerbegleitung nötig, bis hin zur Begleitung bei Grabbesuchen.

Es klingelt und es dauert, bis ich die Wohnungstür höre. Sicher hat er ein komisches Bauchgefühl, wenn ich sein erster Psychologe bin. Das geht allen Patienten so.

Ich darf mir nicht anmerken lassen, dass mir ein gewaltiger Schreck in die Glieder fährt und mich erstarrt stehen lässt.

Das kann doch nicht sein! Er sieht aus, wie mein …

Nein, das kann nicht sein, darf nicht sein. Sicher ist das nur ein schlechter Scherz von meinem … Doch ja, so etwas würde ich ihm zutrauen, nur um mir eins auszuwischen.

Nur die Stimme von Herrn Stolberg und seine schüchterne, zurückhaltende Art, dazu seine weit aufgerissenen Augen überzeugen mich, dass hier ein echter Patient vor mir steht und kein übertrieben schlechter Scherz von meinem Ex.

Eigentlich ganz süß, wie er dasteht. Er sieht gut aus und riecht so verdammt gut. Aber etwas verwirrt ihn offenbar.

Warum starrt er mich so an, als hätte er einen Geist gesehen? Und warum nennt er mich Tina? Der Gipfel ist dann, als er wie vom Donner gerührt auf mich zustürmt und mich in den Arm zieht. Er küsst mich, am Hals, im Gesicht, meine

Stirn und meine Augenlider, ja sogar auf den Mund küsst er mich. Er duzt mich, ist froh, dass er mich wiedersieht.

Er weint. Es ist schön, wenn Männer Tränen zulassen können. Besser, er setzt sich erst mal und beruhigt sich. Er wird Zeit brauchen um sich zu sortieren. Langsam aber bestimmt drücke ich ihn von mir ab, auf einen Sessel, der dicht am Fenster steht.

Seine Geschichte ist ein echtes Schicksal. Er hat schnell Vertrauen gefasst, erzählt mir auch intime Details. Jetzt verstehe ich, warum er mich mit Tina angesprochen und geduzt hat. Wenn ich ihr so sehr ähnlich bin, wie könnte ich ihm da böse sein.

Ich selbst hatte keinen Corona-Fall in der Familie und war Gott Lob auch davon verschont geblieben. Und nun höre ich aus erster Hand, wie es jemandem geht, dem sein geliebter Partner aus dem Armen gerissen wird. Es macht mich betroffen, was dieser furchtbare Virus angerichtet hat und womöglich noch anrichten wird.

Er erzählt und ich höre ihm einfach nur zu. Schon dabei merke ich, dass es ihm hilft. Ob er sonst niemanden hat, der ihm zuhört? Ich will, dass er weiß, dass ich ihm gerne zuhöre. Nicht nur aus beruflichen Gründen. Ich mag seine Stimme, sie hat etwas Beruhigendes. Ich möchte ihm helfen, nein, ich muss ihm helfen, seinen Lebensmut wiederzufinden. Niemand darf sein Leben selbst wegwerfen. Egal wie groß das seelische Leiden ist, man kann helfen … ich kann helfen.

Ich gebe ihm einen Termin für in drei Tagen mit. Dann hat er Zeit, sich unseren ersten Termin noch einmal durch den Kopf gehen zu lassen und ich kann mir auch eine Strategie überlegen. Es ist irgendwie anders als sonst bei meinen Patienten. Ich mache den Job schon eine Weile und natürlich waren auch ein paar hübsche Männer dabei, aber auf ihn freue ich mich jetzt schon. Seine Geschichte und er als Mann sind eine Herausforderung für mich.

Leon: Gero hat den ganzen Tag genervt und wollte Details hören. Mein Verhältnis zu ihm geht deutlich über das Betriebliche hinaus. Aber erstens kann ich nach diesem Gespräch noch nichts Genaues sagen und zweitens ist es mir dann doch zu privat. Natürlich weiß er von meinem Selbstmordversuch, das wissen alle im Büro. Ich mache mir nicht die Mühe, die Narben zu verstecken, auch Frau Doktor hat sie sich mit sorgenvoller Miene angesehen.

Ich liege im Bett und denke nach. Natürlich hatten auch meine Eltern versucht, mich über Frau Angerer auszufragen. Aber auch ihnen gegenüber bleibe ich zurückhaltend. Die Fragerei nervt mich. Wenn es die Leute um mich herum so brennend interessiert, können sie sich ja selbst einen Termin bei ihr machen. Aber auch die nächsten Tage muss ich mich gegen zu aufdringliche Fragerei wehren. Anscheinend denken alle um mich herum, dass sie selbst keinen Sprung in der Schüssel haben und nur ich derjenige bin, der Hilfe braucht. Sorry Guys, ich weiß es besser.

Mein eigentliches Problem ist ein ganz anderes geworden. Würde ich mich selbst beurteilen müssen, würde ich sagen, der Selbstmordgedanke ist so gut wie weg. Schon in der Klinik hatte ich kaum mehr daran gedacht.

Vor meinen Augen taucht das Gesicht von Freya auf und ich muss mir eingestehen, dass sie mein neues Problem werden könnte. Nach dem tragischen Tod meiner Liebsten hatte ich kein Auge für die Frauen in meiner Umgebung. Seit 12 Wochen habe ich kein Verlangen nach körperlicher Nähe. Sogar eine Umarmung meiner Eltern oder Schwiegereltern konnte ich nicht zulassen. Und plötzlich stehe ich einer Frau gegenüber, die ich auch als solche wahrnehme. Ich fühle mich in der Zeit zurückversetzt und spüre, dass mir etwas fehlt. Ob ich in sie verliebt bin? Nein, auf keinen Fall! Aber der Anblick dieser Frau hat mich gefesselt. Genau wie damals, als ich Tina kennenlernte.

Ich hatte sie erst einmal am Telefon und nur für eine Stunde gesehen und trotzdem fühle ich mich wohl in ihrer Nähe. Sie tut mir auf eine Art gut, die ich nicht erklären kann. Jedenfalls auf eine andere Art, als die Arbeitskollegen oder die Familie.

Am meisten ist mir die Art aufgefallen, wie sie sich bewegt, ihr graziler Gang, begleitet von einem leicht-sinnlichen Hüftschwung, begünstigt durch ihre High Heels und ihre sanfte Stimme, die mir eine Gänsehaut auf die Arme gezaubert hat. Ich lächle, die ganze Zeit schon und dass schon so lange, wie ich an Freya denke, aber das fällt mir jetzt erst auf. Ich genieße den Gedanken, der mich versonnen an die Zimmerdecke starren lässt, bis ich in einen erlösenden Schlaf falle.

Freya: Leon ist weg! Puuh, was war das denn bitte schön? Wer ist dieser Leon Stolberg, der mich zugegebenermaßen etwas aus der Fassung gebracht hat? Also, grundsätzlich mag ich sehr, wenn ein Mann gut riecht. Und weiß Gott, das tut Leon. Sein Duft hat Botenstoffe an mein Gehirn gesandt, die wiederum in meinen unteren Regionen ihre Wirkung entfalteten.

Noch schlimmer ist, dass er mich, genau wie mein Exmann, in seinen Bann zieht. Er fasziniert und interessiert mich. Und am allerschlimmsten ist, dass der gute Herr Stolberg meinem Verflossenen ziemlich ähnlich sieht.

Er ist in etwa gleich groß wie mein Ex und hat das gleiche markante Gesicht. Seine Augen haben ein Blau, dass ich heute erst das zweite Mal in meinem Leben sehe und sein Mund ist die pure Versuchung. Verdammt, der Kerl sieht unverschämt gut aus.

Heute habe ich versucht ihm dabei zuzuhören, was er mir nach einem Moment der Unsicherheit verraten hat. Das klappte eigentlich auch ganz gut, aber meine Augen hingen an seinen Lippen so lange es ging. Nur für die Momente, in denen ich meine Notizen machte, löste sich mein Blick von ihm. Sein Aussehen, sein Geruch und nicht zuletzt seine überraschende Attacke, haben mich aus der Bahn geworfen.

Ganz ehrlich? Ich mache noch den nächsten Termin mit ihm und dann werde ich ihm sagen, dass ich nicht die Richtige für sein Problem bin. Obwohl das definitiv falsch ist. Ich könnte seine „Probleme“, wenn es denn überhaupt welche sind, sehr wohl behandeln. Aber der Mann bringt mich in einen Gewissenskonflikt, ich spüre das genau. Er verwirrt mich, meine Gedanken sind ganz woanders, wenn er vor mir sitzt und ich spüre etwas in meinem Bauch, was mich unruhig werden lässt. Würde ich diesen Mann privat in einer Bar oder irgendwo auf einer Promenade sehen und er würde mich ansprechen, ich könnte mich nicht dagegen wehren. Im Gegenteil, ich würde sogar über meinen Schatten springen, selbst die Initiative ergreifen und ihn ansprechen. Aber nichts ist schlimmer, als wenn Zuneigung und Gefühle ein Arzt-Patienten-Verhältnis belasten. Dann ist eine professionelle Behandlung nicht mehr möglich. Und um das von vornherein zu vermeiden, werde ich ihn besser an einen Kollegen verweisen.

Im Stillen hoffe ich, dass ich ihn wiedersehen kann. Vielleicht auf neutralem Boden einen Kaffee trinken oder ins Kino gehen. Ihn würde ich wirklich gern näher kennenlernen.

Die anderen Termine des Tages verlaufen ganz normal. Aber in den Freistunden oder Pausen geht mir dieser Typ nicht aus dem Sinn. Selbst Nadine spürt, dass ich heute etwas neben der Spur bin. „Alles ok, Mama?“, fragt sie, als sie mich geistesabwesend mit einer Tasse Kaffee erwischt.

„Ja, ja, alles bestens.“, antworte ich kurz angebunden.

„Wer’s glaubt …!“, zickt sie schnippisch und zuckt mit den Schultern, „Glaubst du, ich schnall das noch nicht?“

„Ach nix, der Stolberg mit seiner Geschichte, geistert mir im Kopf rum.“

„Wie kommt’s, ist doch sonst nicht so? Geht’s dem richtig dreckig oder was?“

„Na ja, geht so. Es war eher so, als hätte ich einen Geist gesehen. Und ihm ging es genauso.“

„Ach, das ist ja spooky, darfst du was erzählen?“

„Von seiner Geschichte nicht. Nur so viel, ich sehe seiner verstorbenen Frau sehr ähnlich. Und da hatte er fast einen neuen Nervenzusammenbruch. Der Hammer ist aber, dass er deinem Vater sehr ähnlich sieht. Das konnte ich ihm natürlich nicht sagen. Ich bin völlig verwirrt, mir ist ein Schreck in die Glieder gefahren, als ich ihn gesehen habe. Keine Ahnung, ob ich den Herrn weiter therapieren kann.“

„Nur ein Schreck in die Glieder Mum? Nicht vielleicht auch noch in dein Höschen?“

„Du bist ein Ferkel, Nadine! Aber ein bisschen hast du schon Recht.“

„Krass, Mama, woran ist seine Alte denn verreck … sorry, woran ist seine Frau denn gestorben?“

Mein Blick war strafend genug. Nadine wußte sofort, dass sie in ein echtes Fettnäpfchen getreten ist. Ich mag es einfach nicht, wenn sie so spricht. Ihre „Straßensprache“ kann ich ihr leider nicht abgewöhnen. Aber in meinen vier Wänden verbitte ich mir das und das weiß sie sehr genau.

„An Covid. Sie hatte einen schweren Verlauf und hat den Kampf dagegen schon nach wenigen Tagen verloren.“

„Ach du Scheiße. Gut, dass von uns noch keiner den Mist hatte.“

„Dann sei auch vorsichtig und halte dich an die Regeln, dass du ihn nicht bekommst.“

Nadine verdreht die Augen nach der Ansage. Natürlich ist sie altklug und weiß alles besser. „Was du immer hast.“, murmelt sie sichtlich genervt beim Rausgehen.

Ich mag es nicht, wenn sie sich so gibt, aber sie ist meine Tochter und ich liebe sie wie meinen Augapfel. Obwohl, ihre Regel hat sie mit zwölf bekommen und als dann noch ihre Brüste eine, aus ihrer Sichtweise, brauchbare Größe bekommen hatten, um den Jungs reihenweise den Kopf zu verdrehen, ist sie manchmal unausstehlich geworden.

Nadine und ich kommen trotz ihrer gespielten Rebellion prima miteinander aus. Oft ist es, als wäre ich ihre große Schwester. Sie vertraut mir alles an. Geheimnisse gibt es kaum zwischen uns. Selbst ihre Erlebnisse mit den Jungs erzählt sie, wobei die bisher über ein wenig fummeln kaum hinaus gingen.

Meine Wohnung hat seit langem kein Mann mehr privat betreten. Weder Freunde von Nadine, die sie für einen gemütlichen DVD-Abend eingeladen hatte, noch von mir, die ich ja auch so meine Bedürfnisse habe.

Sex ist in diesem Frauenhaushalt so selten, wie langanhaltender Platzregen in der Sahara. Leon Stolberg allerdings hätte genug Potential, um den staubigen Keller in meinem Slip mal wieder ordentlich durchzufegen.

Nadine kommt nach dem Abendbrot zum Kuscheln auf die Couch. Sie schmiegt sich an mich und schnurrt wie eine Katze, als ich ihr mit meinen Fingern durch die Haare fahre. Es ist einer der wenigen Abende, die sie mir

Gesellschaft leistet. „Magst du ihn?“, fragt sie mich geradeheraus. Aus der Frage erkenne ich ihre jugendliche Unbeschwertheit heraus. Eine erwachsene Frau würde mich das nicht fragen, nachdem ich diesen Mann gerade mal eine Stunde kenne. Und doch macht es mich verlegen, was sonst wirklich selten ist. „Ich kenne den Mann doch kaum.“, antworte ich deshalb ehrlich.

„Sieht er echt wie Papa aus?“

„Ein bisschen schon.“

„Kann ich ihn sehen?“

„Sein nächster Termin ist Freitag um 15 Uhr. Wäre sowieso gut, wenn du das Telefon übernehmen könntest.“

„Check Mum, geht klar. Ich geh ins Bett, schlaf gut und träum was Schönes.“

„Du auch mein Schatz.“, sage ich laut und denke: „gerne von Leon.“

Ich trinke noch meinen Rotwein aus und gehe ins Bad um mich bettfertig zu machen. Ein kurzes Nachthemd reicht mir, nachdem ich die Zähne geputzt und meine langen Haare eingeflochten habe.

Im Schlafzimmer ist es dunkel und still. Nur in meinem Kopf ist es laut. Ich höre die Stimmen von Leon und mir aus unserer Sitzung heute Morgen. Immer wieder höre ich seine Geschichte, die mir doch näher geht als sie dürfte.

Seine Stimme löst wieder dieses Kribbeln in mir aus, dass mich heute schon mal so raschelig gemacht hat.

Meine Hand wandert langsam auf meinem Bauch entlang, findet das schmale Bündchen meines Höschens, das kein wirkliches Hindernis bietet. Die weichen Haare meines kurz geschorenen Dreiecks empfangen meine Finger.

Ich mag es nicht ganz ohne Schambehaarung zu sein. Mein Mittelfinger fährt durch meine Schamspalte und teilt sie. Die Pussy ist feuchter, als ich es selbst gedacht hätte. Nichts ist geblieben vom Dörrobst der letzten Wochen. Sie ist zu einer saftigen Pflaume geworden. Ein weiterer Beweis für das Ursache- Wirkungs-Prinzip. Ich vermute, dass die Ursache irgendwo heute Morgen anfing und sich das Ergebnis nun als feinstes Gleitmittel an meinen Fingern klebt.

Mit zwei Fingern spreize ich meine Liebeslippen, suche mit meinem Zeigefinger nach der kleine Perle, die bei dieser Berührung kleine Stromstöße in meinen Unterleib schießt. Es ist ein unzüchtiges Spiel meiner Finger, das längst zur eingespielten Routine geworden ist.

Zwischen Zeige- und Mittelfinger kneife ich meine Labien zusammen, wodurch mein Kitzler noch deutlicher zu fühlen ist. Mein Becken wird unruhig, ich bin aufgegeilt von den Bildern in meinem Kopf, die ich eigentlich verdrängen müsste. Doch sie sind da und erregen mich immer mehr. Dieser gemeine, schöne Mann, ich will ihn!

Zwei Finger sind in mich eingedrungen und reiben die Fläche, die mich noch geiler werden lässt. Ich höre mich kurzatmig stöhnen, flach und unregelmäßig. Meine Finger sind nass von meinem Saft, der in langen Bahnen aus mir herausrinnt.

Meine Finger sind mir zu wenig. Ein gezielter Griff in die Schublade meines Nachtschranks und ich halte einen langen Glasdildo in der Hand. Er ist mit unterschiedlich dicken Kugeln ausgeformt. Ich schiebe mir das dicke Ende in den Mund, bereite es auf seinen Einsatz vor. Ein dicker Tropfen Speichel kleckert auf meine Brust, auf der ich jetzt viel lieber weiche Männerlippen spüren würde … Leon.

Der Dildo wartet vor meinen Vulvalippen, die ich wieder weit spreize. Die erste Kugel öffnet mich, findet Einlass, eine zweite folgt, eine dritte. Endlich wieder das Gefühl ausgefüllt zu sein. Ich brauche keine 20 Zentimeter Männerschwanz um mich zu befriedigen. Mir reichen auch 15 oder 17. Und die stecken jetzt in mir. Mit der rechten Hand bewege ich ihn vor und zurück, gut geschmiert, von dem trüben Saft, den ich reichlich produziere. Mit den Fingern der linken Hand suche und finde ich meinen Lustpunkt, der nun noch ein wenig härter und größer scheint. Ich will die Reize, die Stromstöße. Viele will ich davon, während mich der Glasdildo fickt. Geil. Ja, so kann ich kommen. Es dauert, aber es wird gelingen. Ich weiß es aus vielen Übungen der letzten zwei Jahre.

Dann endlich spüre ich das Kribbeln in mir aufsteigen, dass meinen erlösenden Höhepunkt ankündigt. Eine Woge wollüstiger Spasmen lässt meinen Körper zucken und meinen Unterleib krampfen. Ich kann nicht aufhören, den Dildo zu bewegen und meine Perle zu rubbeln.

Das Zucken hört nicht auf, wird sogar noch stärker, als eine zweite Welle über mich hinwegrollt. Ich muss in das Kissen beißen, um nicht laut zu schreien. Nadine muss nicht wissen, dass ich es mir selbst mache. Aber ich denke, sie weiß es sowieso.

Meine Muskeln zucken noch, nachdem ich aufhören musste mich zu reiben, weil es anfing unangenehm zu werden. Ich bin erschöpft, auf meinen strammen Glocken steht sogar etwas Schweiß. Das Nachthemd wird ihn trocknen und kann dann morgen in die Wäsche. Wow, das war gut, keine Frage. Ersetzt aber nicht den echten Sex mit einem lieben Partner. Einfühlsam und zärtlich, nachdem man sich aneinander schmiegt, sich küsst und liebe Worte ins Ohr flüstert.

Nachdem das ganze Zimmer nach Sex riecht und das Bettlaken nass ist vom Schweiß und den Körpersäften.

Ich sehe wieder Leons Gesicht vor mir und weiß doch gleichzeitig, dass er nur ein Platzhalter für viele Leons ist, die als möglicher Partner in Frage kämen. Dabei brauche ich doch nur einen einzigen, den richtigen ‚Leon‘, oder wie immer mein Zukünftiger heißen wird.

Der Druck ist jedenfalls weg. Allein dafür hat es sich gelohnt. Ich freue mich auf den Termin mit Herrn Stolberg und muss lächeln.

Nadine: „Guten Tag, ich bin Leon Stolberg und habe einen Termin.“ Es hatte geklingelt und wie immer habe ich den Summer gedrückt. Mit dem Telefon am Ohr habe ich ein paar Notizen für meine Mutter gemacht, die in einer Sitzung ist und nicht gestört werden darf. Das war das erste, was sie mir in Bezug auf die Praxis beigebracht hat.

Erst jetzt komme ich dazu, den Patienten anzusehen. „Guten … Tag … Stolberg? Sie sind … äähhmm ich bin … äh … Nadine, Nadine Angerer. Mama hat voll untertrieben, der Kerl sieht nicht nur ein bisschen aus wie mein Erzeuger, sondern ist eine glatte 1:1 Kopie.“

„Wie bitte?“, fragt er verdutzt. Verdammt, habe ich das wirklich laut gefragt? „Äähhmm … nichts. Entschuldigung.“

„Wem sehe ich ähnlich?“, hakt er trotzdem nach.

„Meinem Vater. Und Mama hatte recht, sie hat mir Dienstag schon gesagt, dass sie deshalb ziemlich von der Rolle war, als sie Sie gesehen hat. Ich sollte besser nicht so viel sabbeln. Sie können da vorne warten, Mum ist noch im Gespräch.“

„Sie sind also Nadine? Wir haben schon mal telefoniert.“

„Ja, das stimmt, aber bitte sagen Sie „Du“ zu mir.“

„Gern. Ich setz mich hier her und du erzählst mal ein bisschen, Deal?“

„Eigentlich hat sie nicht viel gesagt. Nur, dass meine Mama Ihrer Frau so sehr ähnlich sieht und, dass Sie wiederrum meinem Erzeuger sehr ähnlich sehen. Sie hat voll untertrieben, Sie sehen save exakt so aus wie der …“

„Aha! Wieso Erzeuger, du hast keine so hohe Meinung von ihm?“

„Ist’n verdammter Wichser! Hat alles gevögelt, was ihm vor die Flinte kam und Mum blieb dabei auf der Strecke. Der hat uns alle verarscht. So lange wir zusammengelebt haben, war er auch immer gut zu mir, aber jetzt will er nichts mehr von mir wissen, dieses miese Stück Scheis ...!“ 

Bei Mama geht die Tür auf und sie kommt mit ihrer Patientin auf den Flur. Wenn sie rausbekommt, dass ich geplaudert habe, dreht sie durch. Also besser den Mund halten und hoffen, dass Leon das auch tut. Aber ich mag ihn, der ist ok und nett. Zumindest strahlt er Vertrauen aus. Was er wohl hat, dass es ihn hierher treibt?

„Hat mich gefreut dich kennenzulernen Nadine.“

„Mich auch Herr Stolberg.“

Freya: Leon Stolberg ist ein bisschen früh dran. Mist, ich wollte … ja was wollte ich eigentlich? Eine Tasse Kaffee servieren? Eine gemütliche Atmosphäre schaffen? Nein, ich wollte mir ein paar Minuten gönnen und mir die richtigen Worte zurechtlegen, mit denen ich ihn an einen Kollegen verweise. Nun steht er da und mein Kopf ist schlagartig leer.

Nadine sieht mich an und lacht spitz auf, weil sie meine roten Ohren gesehen hat. Der kurze Moment, in dem ich meine Patientin verabschiede, ist meine letzte Gelegenheit zum Durchatmen.

„Hallo Herr Stolberg, wie geht es Ihnen heute?“ Ich glaube, dass ist so in etwa der Standartsatz zur Begrüßung. Er weiß nicht, dass es mich wirklich interessiert, wie es ihm geht. Ich sitze und das ist auch gut so. Damit fällt es mir leichter, meine innere Unruhe zu verbergen.

„Danke der Nachfrage, soweit ganz gut, denke ich. Das letzte Gespräch hat mir gutgetan. Keine Ahnung, wie Sie das angestellt haben, aber es war gut. Wirklich.“

„Das freut mich. Herr Stolberg, ich muss mit Ihnen reden. Es geht um Ihre Behandlung.“

„Hat es mit meiner Ähnlichkeit zu Ihrem Exmann zu tun?“

„Woher … Nadine hat geplappert oder?“

„Ja, ein wenig.“

„Es stimmt, Sie sehen meinem Exmann verblüffend ähnlich. Als Sie vergangenen Dienstag vor mir standen, da … na ja, es hat mir einen ziemlichen Schrecken eingejagt. Und als Sie mich dann noch mit Tina ansprachen und erzählten, dass ich Ihrer verstorbenen Frau so sehr ähnlich sehe … Also, ich will damit sagen, dass diese Ähnlichkeiten eine Behandlung von mir unmöglich machen. Sie werden immer ihre Frau vor sich sehen und ich meinen Ex, an den ich nicht so besonders gute Erinnerungen habe. Ich denke schon, dass es ein besonderer Zufall ist, aber genau das macht uns beide befangen. Herr Stolberg, ich kann keine Sitzungen mehr mit Ihnen abhalten und verweise Sie am besten an einen Kollegen. Es tut mir leid.“

Ich sehe ihn betroffen dasitzen. Still starrt er vor sich auf den Boden. Seinen Kaffee hat er auch nicht angerührt.

„Machen Sie sich keine Mühe, ich finde schon jemanden. Aber erstmal ziehe ich wieder in meine Wohnung. Sollte ich keinen Rückfall bekommen, werde ich keine weitere Hilfe mehr in Anspruch nehmen müssen. War nett, Sie kennenzulernen. Ach ja, Sie haben eine liebe Tochter. Grüßen Sie sie schön von mir.“

Er steht auf, geht langsam zur Tür. „Danke, ich finde allein raus.“ Damit geht er auf den Flur und kurze Zeit später höre ich die Praxistür ins Schloss fallen.

Ich hatte mit einer Diskussion gerechnet, darauf gehofft, dass er mich darum bittet weiterzumachen. Nichts dergleichen passiert. Das Einzige was von ihm bleibt, ist dieser unglaubliche Duft im Raum und sein letzter Eindruck in meinem Kopf. Nicht einmal eine Verabschiedung konnte er sich abringen. Er ist enttäuscht, das war nicht zu übersehen. Aber ein Tschüss, Ciao oder auf Wiedersehen wäre schon höflich gewesen. Ich war es schließlich auch.

Es ist gut, dass er mein letzter Termin für heute war.

Das Praktische an meinem Beruf ist, dass ich keine speziellen Praxisräume brauche. Ein in sich abgeschlossener Teil meiner Wohnung ist gleichzeitig Praxis. Jetzt brauche ich ein heißes Bad zur Entspannung. Ein paar Duftperlen in die Wanne und einige Kerzen, ein gutes Buch und ein Glas Rotwein, für das es eigentlich nachmittags um halb vier viel zu früh ist. Nadine ist mit ihren Mädels unterwegs, also habe ich alle Zeit der Welt.

Leon: Die letzten Tage vergingen relativ schnell. Es gab genug Arbeit, die mich ablenkte. Abgesehen vom vergangenen Dienstag dachte ich nicht mehr an Frau Doktor Freya Angerer. Aber mit jedem Meter, mit jedem Schritt, dem ich jetzt ihrer Praxis näher komme, werde ich nervöser und mein Puls schneller.

Die letzten Stufen. Ein junges Mädchen sitzt am Telefon und spricht. Sie nickt kurz zur Bestätigung, nachdem ich

meine Begrüßung losgeworden bin. Das muss Nadine, die Tochter von Frau Angerer sein, die ich schon mal am Telefon gehabt habe. Für eine Angestellte ist sie auf jeden Fall zu jung. Sie macht das gut am Telefon, schon fast wie eine gelernte Kraft.

Niedlich sieht sie aus. Ihre Augen, die Nase und das Kinn hat sie von ihrer Mutter geerbt. Auch die schlanke Figur. Aber den Rest scheint sie vom Vater abbekommen zu haben. Eine gelungene Mischung, die diese junge Frau zu einer Schönheit werden lässt.

Ihr Gesichtsausdruck sieht allerdings erstaunt aus. Ihre Augen sehen mich mit starrem Blick an und ihre Stimme stottert. „Mama untertrieben … Erzeuger ähnlich? ...“ Bei den letzten Worten ist sie leise geworden. So, als würde sie mehr mit sich selbst, als mit mir sprechen. Hier passiert gerade etwas Ungewöhnliches. Ich erkenne es am Gesicht von Nadine, die mich nach wie vor ungläubig ansieht. Mama untertreibt also, was bedeutet, dass ich in den letzten Tagen schon mal Thema im Hause Angerer war. Und es gibt anscheinend jemanden aus der Vergangenheit in dieser Familie, dem ich ähnlich sehe, was offensichtlich für das Entsetzen im Gesicht dieser jungen Dame sorgt.

Nadine plaudert aus dem Nähkästen, nachdem ich mich gesetzt habe. Aha, das Ebenbild ihres Vaters also, dem Exmann von Frau Doktor. Auch wenn ich vielleicht, wenn überhaupt, im Moment psychisch etwas labil bin, dumm bin ich jedenfalls nicht. Sofort ist mir klar, dass es Frau Doktor bei unserer ersten Begegnung ähnlich wie mir gegangen sein muss. Glückwunsch Frau Angerer, das haben sie gut verschleiert. Nadine sagt, Mama war ziemlich durch den Wind, ich hätte sie aus der Fassung gebracht. Und ich Depp knutsche sie auch noch ab.

Frau Doktor kommt aus dem Behandlungszimmer, mit einer Patientin im Schlapptau. Nadine ist augenblicklich still geworden und ich lehne mich entspannt zurück.

Natürlich hatte ich mich bei Freya entschuldigt und doch war sie heute komisch wortkarg. Eine kurze rhetorische Frage und dann gleich: „… ich muss mit Ihnen reden …“ Wie gesagt, ich bin nicht dumm. Mir ist sofort klar, worauf das

hinausläuft. Das war’s dann wohl. Vielleicht ganz gut so. Auch, wenn das eine Gespräch mit ihr ganz gut getan hat, bin ich der Meinung, dass weitere Sitzungen nicht nötig sind.

Sie sagt was, aber ich höre ihr nicht mehr richtig zu. Was ankommt ist, dass sie nicht weitermachen will und sie eine Überweisung ausstellen will. Wusste ich’s doch!

Ich bedanke mich für ihre „Hilfe“, die eigentlich keine war und gehe ohne weitere Diskussionen aus der Wohnung. Einerseits bin ich enttäuscht von Frau Doktor, weil sie mich so einfach abserviert hat. Aber anderseits kann ich sie verstehen. Vermutlich hat sie recht damit, wenn sie sagt, dass eine gewisse spannungsgeladene Befangenheit zwischen uns entstehen würde. Aber schade ist es dennoch. Jetzt, wo ich weiß, dass es eine Doppelgängerin von Tina gibt, hätte ich sie gern wiedergesehen. Vielleicht … nein, den Gedanken denke ich besser nicht zu Ende! Wenn ihr Ex nicht so gute Erinnerungen bei ihr hinterlassen hat, ist sie sicher froh, mich nicht wiedersehen zu müssen. Obwohl, was sagte Nadine: „… Mama war ziemlich von der Rolle…“

Nun ja, es ist, wie es ist. Das war jedenfalls ein lupenreiner Rauswurf. Ganz sicher werde ich ihr nicht hinterherlaufen. Und auch keinem anderen Angehörigen ihrer Zunft. Im Krankenhaus konnte ich nicht weg, aber hier, in freier Wildbahn, kann mich niemand zwingen.

Ich will nach Hause, in meine eigenen vier Wände. Schon viel zu lange bin ich meinen Eltern zur Last gefallen. Es wird langsam Zeit, dass ich wieder auf meinen eigenen Füßen stehe. Das Leben geht weiter, so oder so.

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Der Weg zu meinen Eltern führt mich am Friedhof vorbei. Wie magisch fahre ich auf den Parkplatz vor der kleinen Kapelle. Ein mulmiges Gefühl zieht in mir auf. Es ist, als würde mir übel werden. Zusammen mit Spannungen in der Brust, die mir das Atmen schwer machen.

Ich war schon oft hier, anfangs fast jeden Tag, aber noch nie alleine. Immer hatte ich einen oder beide Elternteile bei mir. Jeder Schritt fordert meine ganze Kraft, nur mein eiserner Wille treibt mich vorwärts, die frisch geharkten Wege entlang. Vorbei an gepflegten Gräbern mit schmückenden Grabsteinen. Es erschreckt mich, wie wenig Information von einem übrig bleibt, wenn der Weg zu Ende ist. Ein Name, zwei Daten und vielleicht noch ein kleiner Bibelvers. Mehr ist es nicht, was die Nachwelt an die Person erinnert. Nur die Angehörigen wissen, welchen Verlust sie erleiden mussten. Alle anderen gehen achtlos an den Gräbern vorbei.

Die Rasenfläche ist frisch gemäht. Sorgfältig aufgereihte Steinplatten unterbrechen das saftige Grün. Manche in traurigem Schwarz, andere in etwas hellerem Anthrazit. Mal ist es goldene Schrift, oder in kontrastreichem Weiß, andere sind in hübschem Silber beschriftet.

Tina Stolberg *17.08.1981 †24.06.2021 In stillem Gedenken

Mehr Information passte nicht auf den Stein mit den gebrochenen Kanten. Selbst dieses bisschen Text war schon fast zuviel. Ein Grablicht steht oben rechts an der Ecke des Granits, es leuchtet und wirft flackerndes Licht auf die Schrift.

Auf Knien hockend bete ich ein paar Zeilen, die noch vom Konfirmandenunterricht hängen geblieben sind.

Ich zittere am ganzen Körper und die Tränen werden vom leichten, warmen Wind getrocknet. Die wenigen, die es bis ins Gras schaffen, verschwinden sofort. Hätte ich jetzt ein Messer … dieses Mal wüsste ich besser, wie ich ‚es‘ anstellen müsste. Den dummen Fehler mache ich nicht wieder.

Ich erzähle Tina von Frau Doktor, von ihrer Ähnlichkeit zu ihr und von ihrem Rauswurf, weil ich ihrem Ex so ähnlich sehe.

Ich weiß nicht, ob es der Sonnenstrahl ist, der mich plötzlich blendet, oder eine andere, höhere Macht, die mich aufstehen lässt. Meine Fäuste sind so sehr geballt, dass die Fingernägel weiß sind. Nein, mein Lieber, so schnell gebe ich nicht auf! Und du da oben … du hast mir meine Frau schon viel zu früh aus den Armen gerissen. Mich bekommst du noch nicht!

„Bis bald mein Schatz.“, flüstere ich in Richtung der Granitplatte. Mit festen, immer schneller werdenden Schritten gehe ich zu meinem Auto zurück. Als ich es erreiche, laufe ich schon fast.

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„Aber Schatz, du kannst doch noch nicht wieder alleine wohnen!“, die Stimme meiner Mutter klingt regelrecht besorgt.

„Doch Mama, ich kann und ich werde. Wenn es nicht klappt, kann ich immer noch zurückkommen. Aber jetzt ist es genug.“

Mit ein paar Handgriffen ist meine Wäsche in einem Koffer verstaut. Die gebügelten Hemden und Shirts sorgsam, den Rest achtlos hinein geworfen. Ein liebevolles Küsschen rechts und links auf die Wangen meiner Mutter und ein „Danke für alles. Bis die Tage.“, dann ziehe ich die Eingangstür hinter mir zu.

Es ist wie eine Befreiung. Erst der Entschluss, alles wieder selbst auf die Reihe zu bekommen und jetzt noch die Fesseln meiner Eltern abgeworfen. Wie ein ‚Reset‘ kommt es mir vor. Es fühlt sich so gut an, dass ich sogar in mich hinein lächeln muss.

Die Wohnung ist kalt und leer. Kein Leben ist in ihr. Und dennoch fühle ich mich geborgen. Die Wäsche ist schnell verstaut und die Betten frisch bezogen. Die meisten Dinge, die an Tina erinnern, sind ja bereits im Keller.

Auf unsere gemeinsamen Bilder habe ich bestanden und auch auf die Erinnerungsstücke, die wir aus unseren Urlaubsorten mitgebracht hatten.

Wie oft ich an diesem Tag weinen musste, habe ich nicht gezählt. Aber jede Träne war für dich, meine geliebte Tina.

Es ist ungewohnt, alleine auf der Couch zu sitzen. Nur der Fernseher mit seinem Stimmen- und Musikgewirr, bringt etwas Leben in die vier Wände. Mein Abendbrot besteht aus zwei Bieren, die ich noch im Kühlschrank gefunden habe.

Morgen ist Samstag, kein guter Tag, um sich durch die überfüllten Supermärkte zu quälen, aber es hilft nichts, weil jetzt rein gar nichts sättigendes mehr im Kühlgerät ist.

Es wird die erste Nacht in UNSEREM Bett. Die Stille in jedem Zimmer macht mir zu schaffen. Ob das zur Trauerbewältigung gehört? Ist das eine der Prüfungen, die der liebe Gott mir aufbürdet? Da muss ich durch, denke ich. Unzählige Menschen haben das vor mir auch schon geschafft.

Das Bett ist Weltklasse, kein Vergleich zu dem Jugendbett im Gästezimmer meiner Eltern. Die Stille ist laut in meinem Kopf. Anders als der Straßenlärm, der mich in meinem Elternhaus oft nicht einschlafen ließ.

Es sind die Gedanken in meinem Kopf, die wechselnden Bilder von Tina und Freya, die sich vor meine inneren Augen schleichen, die etwas Erleichterung bringen. Die Gesichter beruhigen mich und geben mir das Gefühl, doch nicht ganz alleine zu sein.

Das zweite Kissen, Tina’s Kissen, ziehe ich an mich heran, knülle es in meinen Armen zusammen.

Es ist kein wirklicher Ersatz zu einem warmen, weichen Körper, mit hübschen Brüsten auf denen harte Nippel in meine Haut stechen, kein Hintern, der sich verlangend an mich drückt, keine Hände, die nach meinem Penis angeln und mich liebevoll verwöhnen.

Bei den Bildern in meinem Kopf kommen mir wieder die Tränen. Das viele Weinen macht müde. Nur ein leichter Schlaf erlöst mich von dem Schmerz in meiner Brust, den die Trauer ausgelöst hat.

Freya: Leon Stolberg, du bist so ein … verdammt … süßer Kerl. Und ein blöder Arsch dazu. Warum bist du nicht geblieben. Wenigstens so lange, bis ich dir alles erklären konnte. Ich hätte dir so gern gesagt, dass du dich jederzeit bei mir melden kannst, wenn du Hilfe brauchst.

Wie gern hätte ich dir erklärt, wie das damals war, mit meinem Mann und warum du mich so aus der Fassung bringst. Das hätte ich natürlich nicht gemacht, wäre es doch um einiges zu privat gewesen. Und doch ist es so. Du bringst mich aus der Fassung, jetzt auch, hier im entspannenden Badewasser. Längst sind meine Nippel hart. Der Gedanke an dich hat ausgereicht, um sie steif abstehen zu lassen. Zusammen mit den Warzenhöfen, die sich auch nach außen wölben, stehen sie wie kleine Hütchen ab.

Empfindlich sind sie geworden, weil ich mit ihnen gespielt habe, bis sie dunkelrot waren. Gespielt habe ich mit ihnen, bis ich schon fast dadurch gekommen wäre. Ich gehöre zu den Frauen, die das seltene Glück haben, von der Natur damit beschenkt worden zu sein. Oh Gott, wenn ich nur daran denke, wie Leon … seine Lippen, wenn er mit ihnen an mir nuckeln würde. Die harten Spitzen einsaugen und mit der Zunge …

Es reicht, ein Orgasmus muss her. Längst überfällig öffne ich meine Schenkel, finde den Knopf, der das zu Ende bringt, was ich an den Brustwarzen angefangen habe. Ich werfe meinen Kopf in den Nacken und mache ein Hohlkreuz. Ich fühle erste Zuckungen, die meine Wonnekugeln erzittern lassen. Das Gefühl baut sich nur langsam auf. Langsam aber stetig. Und ganz plötzlich rast ein Erdbeben über mich hinweg, ringt mir einen lauten Schrei ab, den ich nicht verhindern kann. Mein Körper windet sich in einem Höhepunkt, Wasser schwappt über den Wannenrand. Wow, es ist selten und auch schon eine ganze Weile her, dass ich so hart komme.

Mein Atem geht schnell, der Puls bläht meine Halsschlagadern und mein Mund ist trocken geworden. Leon, wenn du das warst, der mich davonschweben ließ, dann will ich mehr davon. Bitte, bitte.

Verdammt, die Zimmertür, Nadines Zimmertür. Wie lange ist sie schon zu Hause. Warum habe ich sie nicht kommen hören. Ach ja, der Wahnsinns Orgasmus. Hoffentlich hat sie nicht alles mitbekommen, wie peinlich.

Nadine: Au weia, Frau Doktor ist wieder voll dabei. Auffällig oft in letzter Zeit. Heute also im Bad. Entweder, sie hat ihren schwarzen Gummidildo mit ins Badewasser genommen, oder ihre Finger vollbringen ganze Arbeit zwischen ihren Beinen.

Heute ist sie lauter, ihr Stöhnen heftiger, die leisen, spitzen Schreie häufiger als sonst. Das ist einer der Momente, in denen ich froh bin, in einem Altbau zu wohnen. Hier ist es längst nicht so hellhörig, wie in unserer letzten, modernen Wohnung. Ein letzter Schrei, erlösend und mit bebender Stimme, dazu ein Name, der mich hellhörig werden lässt.

‚Leon‘ …

Leon? Doch nicht dieser Leon Stolberg? Also doch! Sie war also nur halb ehrlich zu mir, als sie sagte, dass sie nur sein Anblick von der Rolle gebracht hätten. Da musste noch mehr sein, sonst würde sie nicht so laut ihren Abgang hinausschreien. Meine liebe Mutter, darüber sollten wir reden.

Ich liege bäuchlings auf dem Bett und der geile Sound aus meinem Kopfhörer schafft es nicht, mir das Dauergrinsen aus dem Gesicht zu glätten. Meine Mutter ist verliebt und weiß Gott, sie hat es mehr als verdient, wieder glücklich zu sein. Kaum etwas, was ich ihr mehr wünschen würde.

Instagram und Co. bieten auch nicht viel Neues. Fast gelangweilt wische ich durch die kleinen Spots, bis mich ein vorsichtiges Kitzeln unter der Fußsohle aus meinen Gedanken reißt und sich die Bettmatratze neben mir eindrückt.

„Nadine, was hast du mitbekommen?“

„Alles Mama, dein Kopfkino muss erste Güte gewesen sein. Aber weißt du, es macht mir nichts aus. Ich tue es auch fast jeden Abend. Ich brauche das Kribbeln in meiner Muschel und die Orgasmen. Aber so wie du vorhin, bin ich noch nie gekommen. Vor allem habe ich dabei noch nie einen Männernamen rausgeschrien.“

„Ich habe … was, hab ich? Doch nicht etwa …?“

„Doch Mama, hast du. Und ich kann dich verstehen. Er ist schon ein Schmuckstück, dieser Leon Stolberg. Auch wenn er wie Papa aussieht, ist er doch ein ganz anderer Mensch als er.“

„Nadine, er hat mir den Kopf verdreht. Ständig habe ich sein Bild vor Augen. Er geht mir einfach nicht mehr aus dem Kopf, verstehst du? Heute Nachmittag habe ich die Behandlung beendet und er ist einfach so gegangen. Dabei wollte ich ihm noch so viel erzählen. Es ist schade, ich hätte ihn gern näher kennengelernt.“

„Du hast doch eine Krankenakte, also eine Adresse und eine Telefonnummer. Worauf wartest du also? Ruf ihn an, fahr ihn besuchen, rede mit ihm und schnapp dir den Kerl.“

„Süße, so einfach ist das nicht. Ich bin etwas aus der Übung, was flirten angeht. Außerdem hat er ja auch ein Trauma zu bewältigen. Er sieht seine Tina in mir, die ich nun mal nicht bin.“

„Aber Ma, wenn du es nicht versuchst, geht dir vielleicht ein ganz toller Fang durch die Lappen.“

„Ich denke mal darüber nach. Entschuldige, dass du das vorhin mit anhören musstest. Ich dachte allein zu sein.“

„Schon gut Mutti, Hauptsache es war schön und so wie es sich anhörte, war es mehr als das.“, grinse ich sie schelmisch an.

Mit einem Klaps auf den Po geht sie raus und lässt mich mit meinem Kopfkino alleine zurück. Wie würde ich eigentlich mit der Situation umgehen, wenn jemand wie Leon Stolberg der neue Freund meiner Mutter werden würde? Wie würde es mir damit gehen, täglich in das Gesicht meines Erzeugers sehen zu müssen? Ich glaube, das käme ganz darauf an, wie er mit Mama und mir umgehen würde. Auf seinen Charakter käme es an.

Na ja, wirklich mitreden kann ich nicht. In Sachen Liebe bin ich noch etwas unterbelichtet. Irgendwie fühle ich mich noch nicht bereit dazu, einem Jungen meine intimsten Sachen zu offenbaren. Die Jungfräulichkeit habe ich mir selbst genommen, mit Mama’s ‚Schwarzem‘. So konnte ich Ort und Zeit selbst bestimmen.

Mal abgesehen davon, dass ich mich gut darauf vorbereiten konnte. Ich hatte mich so geil gemacht, dass meine Möse nass und offen im Spiegel auftauchte, in dem ich mich selbst dabei beobachtete. Erst eine Weile vorsichtiges Hin und Her, dann mit einem ordentlichen Ruck das Ding in meiner Höhle versenkt.

Gut, dass ich mir dabei gleichzeitig in die Brustwarze gekniffen hatte. So verteilte sich der Schmerz auf zwei Stellen meines Körpers und ließ es mich gut aushalten. Ich glaube kaum, dass ein junger Schnösel auf die gleiche Idee gekommen wäre. Der hätte mir in einem Anflug von Übereifer, ohne Rücksicht auf Verluste, sein Ding einfach bis zum Anschlag reingeknallt. Autsch!

Nur ein kurzer Augenblick, dann hatte ich mich an den vibrierenden Spaßmacher gewöhnt. Der Schmerz wurde von einem neuen Gefühl in mir abgelöst. Das Gefühl, ausgefüllt zu sein und die Empfindung, in mir liegende Punkte zu stimulieren, die bis dahin erotisches Brachland waren.

Meine straffe Bauchdecke wölbte sich jedes Mal, wenn ich den schwarzen Freund in mich schob. Es fühlte sich gut an und endlich bekam ich einen ersten Eindruck davon, warum meine Mutter im Schlafzimmer so animalische Laute von sich gab, wenn mein Vater sie unaufhörlich durchvögelte.

An diesem Abend schaffte ich tatsächlich, mir mit meinen Fingern und dem Dildo einen bis dahin heftigen Orgasmus zu verschaffen.

Jetzt wäre mir auch danach. Ob Mama ihn mir für einen Moment ausleihen würde? Was habe ich schon zu verlieren, außer … ach egal.

„Mutti, kann ich mir den schwarzen Dildo ausleihen?“ Der kurze, entsetzte Blick … unbezahlbar. Es ist das erste Mal, dass ich sie darum bitte. Sonst habe ich ihn mir einfach so genommen und immer wieder brav zurückgelegt. Doch jetzt wollte ich, dass sie davon weiß. Und wollte meine Sexualität nicht mehr vor ihr verstecken. Vielleicht schämt sie sich dann künftig auch nicht mehr so, wenn ich sie beim wichsen erwische.

Erstaunlich schnell löst sich ihre Schockstarre und ihr Gesichtsausdruck entspannt sich. „Natürlich meine Süße“, sagt sie und holt das Teil aus ihrem Schlafzimmer. „Kannst du behalten, ich kauf mir einen neuen. Viel Spaß damit.“, grinst sie spitzbübisch. Jetzt bin ich es, die dumm aus der Wäsche guckt. Mit allem hätte ich gerechnet, aber damit nicht, jedenfalls nicht ohne Diskussion.

Ein paar Minuten später liege ich nackt auf dem Bett und stöhne ähnlich laut, wie meine Mutter vorhin. Ein wohliges Gefühl durchströmt mich. Toll, was der batteriebetriebene Freund in mir auslöst.

Ein wenig Zeit, mich kurz zu beschreiben: Mit einem schlanken Körper gesegnet, einsvierundsechzig groß, mit leicht rötlichen, gefärbten Haaren. Eigentlich bin ich Straßenköterblond, aber die Haarfarbe meiner Mutter fand ich schon immer gut. Meine Brüste sind jugendlich fest, mit außergewöhnlich kleinen Warzenhöfen und winzigen spitzen Nippeln. Von Körperbehaarung halte ich altersgemäß nicht viel. Kein Härchen ziert meine schmalen, äußeren Vulvalippen. Die inneren hängen leicht heraus, was mich aber nicht besonders stört. Vielleicht ein wenig beim Pieseln, aber sonst nicht. Und wer es nicht schön findet, muss ja nicht hinsehen.

Sehnsüchtig erwarte ich die Welle, die mein Herz bis an seine Grenzen beschleunigt. Unaufhörlich rollt sie auf mich zu und erwischt mich voll. Der Reiz in meiner Scheide ist mir zu heftig. Achtlos lasse ich den Vibrator fallen und ergebe mich den Empfindungen, bis ich mich etwas beruhigt habe. Wow, ich kann mir kaum vorstellen, dass es mit einem Mann besser sein kann. Jedenfalls, mit einer Frau ist es auch nicht schlecht. Zwei Mal habe ich es mit meiner besten Freundin probiert. Ich weiß jetzt, wie sich ein Dildo anfühlt, wie eine Frau zwischen den Beinen schmeckt und wie es sich anfühlt, wenn man sich jemand Fremden hingibt. Jetzt fehlt nur noch ein echter, warmer, harter Männerschwanz, aber das hat noch Zeit.

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Ein Tag später, Samstagnachmittag. Mir ist stinke langweilig. Keine von meinen Freundinnen hat Zeit für mich und Mama hat schlechte Laune. Mit hängenden Schultern schlendere ich durch die Stadt. Diese Tage, an denen das Wetter schön warm ist und zu deutlich Besserem geeignet wäre, ich hasse es, sie allein verbringen zu müssen.

Aber wie heißt es so schön: Manchmal geschehen noch Zeichen und Wunder!

Da drüben, dort im Eiscafé, das ist doch … na klar, das ist Leon Stolberg! Sieht gemütlich aus, wie er da sitzt, mit seiner Zeitung in der Hand und dem Latte Macciato auf dem Tisch. Das muss eines dieser Zeichen sein, von denen die

Weisheit ‚spricht‘. Es ist meine Chance, dem Schwarm meiner Mutter mal auf den sprichwörtlichen Zahn zu fühlen.

„Hallo, Herr Stolberg, schönes Wetter heute, oder?“ Ich weiß, dass es so ziemlich das Dümmste ist, was ich in diesem Moment sagen konnte. Zumindest hat es gereicht, dass er die Zeitung sinken lässt und mich ansieht.

„Ach, Nadine, schön dich zu sehen. Stimmt, wunderbares Wetter. Solltest du da nicht besser in einem See oder im Freibad deinen Spaß haben, als alleine in der Stadt fremde Männer anzusprechen?“

„Ja, stimmt schon, aber meine Mädels haben alle keine Zeit und alleine habe ich keine Lust ins Freibad. Da wird man nur von dummen Jungs angequatscht.“

„Hast du denn noch keinen Freund?“

„Ne, das hat noch Zeit. Außerdem lerne ich komischerweise immer nur so Deppen kennen. Ich hab damit kein Glück. Sagen Sie, ist es ok, wenn ich mich einen Moment zu Ihnen setze?“

„Natürlich ist es ok. Darf ich dich zu einem Eis einladen?“

„Ja lecker, vielen Dank.“ Er ist wirklich nett, lächelt viel und sein Blick ist freundlich, als er mir die gefaltete Speisekarte zuschiebt.

„Such dir aus, was du magst.“, sagt er. Ich höre und sehe, dass er es ehrlich meint. Der Kellner nickt freundlich, nachdem ich ihm ein Spagettieis und einen Chai Latte in seine Elektronik diktiert habe.

Die Augen von Herrn Stolberg verfolgen jede meiner Bewegungen. Hoffentlich merkt er nicht, dass es in meinem Kopf rattert. Gern würde ich ein Gespräch mit ihm anfangen. Ganz ungezwungen und locker, natürlich soll es um Mama gehen. Aber wie soll ich anfangen, was will, oder besser, was darf ich ihm eigentlich verraten? Schließlich möchte ich meiner Mutter nicht in den Rücken fallen.

Leon: Die Nacht hatte ich ganz gut, vergleichsweise ruhig, geschlafen. Gut möglich, dass es am Kissen lag, dass ich an mich gedrückt hatte. Und doch war ich früh wach.

Nichts hielt mich im Bett. Kein Kuss, keine Hand, die liebevoll meine Morgenlatte streichelte, keine Frau, die sich süß an mich gekuschelt hätte. Apropos Morgenlatte, ich hatte lange keine mehr und auch sonst keine Erektion. Dabei hatte ich mit Tina oft einfach nur so einen Ständer. Manchmal schon, weil sie halbnackt vor mir herumlief oder im Vorbeigehen mit einer Hand über die Beule in meiner Hose strich. Wie oft hatte ich das Gefühl, meine Eier würden platzen, so prall und hart waren sie, wenn wir ein paar Tage keinen Sex hatten. Aber seit dem Verlust meiner Frau ist da unten im wahrsten Sinne des Wortes ‚tote Hose‘.

Den Verlust meiner Lust stellte ich schnell fest. Auch, dass alle meine geheimen Tricks nichts daran ändern konnten.

Natürlich gab und gibt es Tage, da versuche ich mich selbst zu befriedigen. Sehe mir Pornofilmchen an, oder die Reinigung der Extremitäten unter der Dusche fällt etwas intensiver aus. Aber jede Bemühung mir einen Steifen zu verschaffen, blieb bisher erfolglos.

Lange suchte ich in zahllosen, schlaflosen Nächten nach Erklärungen für mein Versagen. Mit einem Arzt hatte ich noch nicht darüber gesprochen, weil es mir bisher nicht wichtig genug war. Also konnte ich es nicht logisch erklären.

Es war nur mit Übersinnlichem zu erklären. Vielleicht Voodoo, oder ein Fluch. Konnte es sein, dass Tina nicht möchte, dass ich meinen Schwanz in eine andere Muschi stecke? Möchte sie mich damit strafen, weil ich mich nicht um sie kümmern konnte, als es ihr schlecht ging und im Sterben lag? Ist es ihre Art mir klar zu machen, dass ich besser keine neue Beziehung eingehen darf und mich deshalb mit erektiler Dysfunktion belegt hat?

Irgendwann gab ich auf und fand mich damit ab, was aber nicht bedeutete, dass ich es nicht trotzdem ab und zu versuchte.

Wie zum Beispiel heute Morgen. Ich spiele versonnen mit meinem schrumpeligen Pimmelchen, schiebe andächtig die Vorhaut vor und zurück. Ich ertappe mich sogar dabei, wie ich meine Finger mit Spucke nass mache, um den Reiz etwas angenehmer zu machen. Mehr als eine kleine Verlängerung der Schwellkörper und ein müdes Zucken war dem Verräter zwischen meinen Schenkeln nicht abzuringen. Dann eben nicht …!

Mir fehlt komischerweise auch nicht wirklich etwas, aber Zärtlichkeit zu spüren, würde mir mal wieder gefallen. Wenngleich ich Angst davor habe. Bin ich überhaupt noch beziehungsfähig und könnte mich auf eine neue Frau einlassen? Was, wenn ich sie nicht in allen Bereichen befriedigen könnte, wenn ich, wie in den letzten Wochen, versagen würde. Hielte sie mich dann für einen Schlappschwanz, einen Versager, der nicht einmal zu simplem Sex taugte? Müßig, mangels geeigneter Bewerberinnen, einen Gedanken darüber zu verschwenden.

Ergo schwinge ich mich aus dem Bett und erledige bald meine Morgentoilette. Eine halbe Stunde später sitze ich allein am Frühstückstisch, nur mit einer Tasse heißen Kaffee und einem Block für den Einkaufszettel vor mir. Wieder etwas, was ich in den nächsten Monaten lernen muss. Mittlerweile hatte ich mich daran gewöhnt, alleine aufzuwachen. Nun kommt noch dazu, alleine meinen Tag zu gestalten. Mich wundert nur, dass es mir bisher, nach meiner ersten Nacht in unserer Wohnung, erschreckend leicht fällt.

Ne gute Weile später schiebe ich einen Einkaufswagen durch den nahe gelegenen Discounter. Frauen gehen für gewöhnlich strukturiert, streng nach Einkaufszettel vor. Selbst der ist schon so geschrieben, wie es die Aufteilung der Regale vorgibt. Am Ende ist dann ziemlich genau das im Einkaufswagen, was auch auf dem Zettel stand.

Ich, völliger Neuling des selbstständigen Einkaufens, schleiche durch die Gänge, völlig losgelöst von meinem Zettel, finde Dinge, an die ich im Leben nicht gedacht, aber für durchaus lohnenswert eingestuft habe, um am Ende einen völlig überladenen Drahtwagen zu schieben. In den Gängen habe ich nicht nur die Zeit, sondern auch völlig den Überblick verloren.

Mühsam schleppe ich den Einkauf nach oben, verstaue alles in den Schränken und bin stolz auf meine Leistung. Ein späterer Abgleich zwischen Einkauf und Zettel ergibt, dass ich das Wichtigste vergessen habe: Nudeln.

Was anderes kann ich aus dem Gedächtnis heraus nicht kochen, aber wofür gibt es Kochbücher …

Die Einkaufsorgie gehört bestimmt auch künftig nicht zu meinen Lieblingsbeschäftigungen. Schon gar nicht bei diesen Temperaturen. Verschwitze Menschen, genervt, manche ratlos und von der Vielfalt überfordert. Nur eines verbindet alle diese Menschen, mich inklusive: Sie wollen so schnell wie möglich hier raus. Raus an die frische Luft, raus aus der Enge, endlich weg mit der Maske, die uns allen zusätzlich das Atmen schwer macht und die Brillen beschlagen lässt.

Nach langer Zeit darf die Außengastronomie wieder öffnen. Eine Tagesbelohnung in Form eines Eisbechers und einem gepflegten Kaffee sollte drin sein. Ich kenne ein gutes Eiscafé. Ich sitze, wie schon oft, in der äußersten Ecke, seitlich durch eine gut gestutzte Buchenhecke geschützt, mit der Tageszeitung in den Händen.

„Hallo, Herr Stolberg …“. Die Stimme kommt mir bekannt vor. Nur meine Augen lösen sich aus dem Artikel über die neuesten Impfzahlen und Corona-Mutationen und sehen in das strahlende Gesicht von Nadine Angerer.

Es entwickelt sich eine kleine Unterhaltung, nachdem ich sie zu einem Eis eingeladen habe.

Die ganze Zeit versucht sie zu lächeln und wenn sie spricht versucht sie besonders nett zu sein. Aber sie spielt oft nervös mit ihren Fingern und sie sieht häufig verlegen nach unten. Etwas liegt wie ein Schatten auf ihrem Herzen und bedrückt sie. Sie ringt mit sich, ich sehe es genau, sucht nach Worten, traut sich nicht zu sagen, was sie vielleicht auch nicht in Worte fassen kann.

„Geht es um deine Mama?“, frage ich sie deshalb direkt. Kurz zuckt sie sichtlich zusammen und sieht mich erschrocken an.

„Woher … wie können Sie das wissen?“

„Ich sehe es dir an.“ Ihr Blick wandert nach unten, nachdem sie mich angesehen hat und fixiert einen imaginären Punkt auf der Tischplatte. Dabei rührt sie versonnen in ihrem Chai Latte herum. Dann, nach einem Moment …

„Sagen Sie, ist es wirklich so schlimm, dass meine Mutter Ihrer Frau so ähnlich sieht? Können Sie deshalb nicht mehr zu uns in die Behandlung kommen? Oder liegt es daran, dass Sie meinem Erzeuger so ähnlich sehen? Wissen Sie, ich finde es schade, weil …, weil …“

Sie beendet den Satz mit einem Kopfschütteln.

„Weißt du Nadine, ich glaube, es ist die Mischung aus beidem. Darum kann ich die Entscheidung deiner Mutter schon ein wenig verstehen.“

„Mama wollte tatsächlich nicht mehr? Sie sagte es, aber ich hab’s nicht geglaubt. Ich dachte, das Ganze wäre von Ihnen ausgegangen, weil Sie dann so schnell wieder weg waren. Sie hat mir gesagt, dass sie Ihnen noch gern was erklärt hätte. Meinte, es wäre ihr wichtig gewesen, aber Sie seien einfach abgehauen.“

„Vermutlich hatte sie ein größeres Problem damit, als ich. Kann es denn sein, dass ich bei deiner Mama alte Wunden aufgerissen habe? War dein Papa denn so schlimm?“

„Herr Stolberg, so ist das nicht. Natürlich war mein Alter ein ziemlicher Arsch. Aber Mama wusste, worauf sie sich einließ. Wir sind erst gegangen, als plötzlich noch vier Halbgeschwister von mir ans Tageslicht kamen.“ 

„Oha, das verstehe ich. Dann bestelle ihr bitte einen schönen Gruß von mir und ich entschuldige mich dafür, weil ich einfach so gegangen bin. Sag ihr bitte, dass mir unser erstes Gespräch gut getan hat und ich sie für eine gute Ärztin halte. Ich weiß nicht, mit welchem Trick sie es geschafft hat, aber ich hatte plötzlich das Gefühl, geheilt zu sein. Vielleicht habe ich mit meinem Verhalten einen Fehler gemacht.“

„Das sage ich ihr gern. Übrigens, ich finde Sie nett und Mama …“

„Was ist mit deiner Mama?“

„Ach nichts, ich dachte nur grad.“

„Nadine, du bist ein nettes Mädchen, aber manchmal sprichst du in Rätseln.“

„Das tut mir leid, aber ich kann Ihnen im Moment nicht mehr zu meiner Mama sagen. Es ist … es ist einfach zu privat.“

„Schon gut. Es geht mich ja auch nichts an.“

„Doch, eigentlich tut es das, nur kann ich jetzt nicht darüber reden. Kann ich Sie was fragen?“

„Klar, schieß los.“, zucke ich mit den Schultern.

„Wie finden Sie meine Mutter?“

„Oh wow, das ist aber sehr direkt. Ich will es mal so ausdrücken: Es ist nicht nur die Ähnlichkeit zu meiner Frau, ich ertappe mich dabei, wie ich sie miteinander vergleiche. Abends sehe ich Bilder vor meinen Augen, welche von meiner Tina und auch welche von deiner Mutter und das verwirrt mich. Deine Mama ist bestimmt eine tolle Frau und eine gute Mutter.“

„Ja, das ist sie. Und meine beste Freundin ist sie auch. Und nur zu Ihrer Beruhigung: Sie ist auch verwirrt. Sogar mehr als das. Aber jetzt muss ich los. Vielen Dank für das Eis und den Chai. Es ist wirklich schade, dass wir uns nicht mehr sehen werden, ich finde Sie echt nett.“

Sie steht auf und zupft sich ihr Crop Top zurecht, dass hoch zu rutschen droht. Die feine Kette, die an ihrem Bauchnabelpiercing baumelt, funkelt in der Sonne. Dann schiebt sie den Stuhl an den Tisch, kommt neben mich und drückt mir ein Küsschen auf die Wange.

„Blödsinn, ich sehe Sie wieder, das weiß ich genau. Ciao dann.“ Das Küsschen ist eine niedliche, unbedachte Geste eines jungen Mädchens. Es überrascht und freut mich gleichermaßen. Lässt mich sogar ein wenig rot werden. Jetzt erst rieche ich den feinen, blumigen Duft ihrer Haare.

„Und wenn das so ist, sagst du bitte Leon zu mir. Herr Stolberg klingt mir zu steif.“, zwinkere ich ihr zu.

„Geht klar Leon.“, lächelt sie zurück, winkt kurz mit den Fingern und verschwindet hinter der Buchenhecke aus meinem Sichtfeld.

Lächelnd schüttle ich den Kopf und versuche mich wieder auf den Covid-Artikel zu konzentrieren. Diese kleine Rotznase ist wirklich mutig. Ein Quell der Unbeschwertheit und frei von Sorgen. Ohne Scheu und wie, als wäre es das

Selbstverständlichste der Welt, spricht sie mich an. Mich, einen Fremden, den sie erst zweimal gesehen hat.

Ich hätte mich das in ihrem Alter jedenfalls nicht getraut. Überhaupt ist sie sehr umgänglich. Ihre Nähe empfinde ich als überaus angenehm, ihre Art und Sorglosigkeit, erzeugen ein gutes Gefühl in mir. Vielleicht ist es zuviel, aber sie gibt mir etwas Lebensfreude zurück.

Ich werde das Gefühl nicht los, dass ihr meine Ähnlichkeit zu ihrem Papa den Zugang zu mir wesentlich erleichtert.

Schließlich hatten die beiden auch gute Zeiten und ich erinnere sie daran. Wie sonst sollte es ihr so leicht fallen, so ein locker und leichtes Gespräch mit mir zu führen. Freya ist es auf bewundernswerte Weise gelungen, ein tolles Mädchen aus ihr zu machen. Ich habe selten eine so gut erzogene Jugendliche kennengelernt.

Nadine’s Andeutungen haben mich nachdenklich gemacht. Den restlichen Tag gehen mir ihre Worte nicht mehr aus dem Kopf. Frau Doktor wollte mir noch was erklären? Was gab es da noch zu erklären? Nadine hat recht, ich war ohne weiteren Kommentar aus der Praxis gegangen, ohne mich noch einmal umzudrehen. Hätte ich es getan, wäre mir bestimmt aufgefallen, dass sie noch etwas sagen wollte.

Und was meinte das Mädchen damit: … ‚Mama ist verwirrt, sogar mehr als das‘? Das konnte alles heißen, oder auch gar nichts. Meine Situation ist ja mit ihrer vergleichbar, nur mich irritieren die Bilder in meinem Kopf nicht, ganz im Unterschied zu Frau Doktor. Zugegeben, ich könnte mir auch was Besseres zum Einschlafen wünschen, als ständig wechselnde Bilder. Auch heute Abend sind sie wieder da, wie gestern schon.

Freya: Wenn Nadine mit ihren Mädels unterwegs ist, Kino, Freibad oder auch, wenn sie einfach nur irgendwo einen Film sehen, dann bin ich beruhigt. Sie weiß, dass ich nur einen Anruf von ihr erwarte, wenn es mal später werden sollte. Ich vertraue ihr, auch wenn das bei Mädchen in ihrem Alter sicher risikoreich ist. Meine Süße weiß, dass sie damit einen Bonus von mir bekommt, den sie niemals ohne triftigen Grund verspielen würde.

Sie ist ein liebes Kind, ein wahrer Sonnenschein. Sie war diejenige, die mir Halt und die nötige Kraft gab, als das mit meinem Ex unerträglich wurde. Sie war der Grund, warum ich es überhaupt so lange mit ihm aushielt. Ich wollte sie nicht zu einem dieser Scheidungskinder werden lassen, denen die Trennung der Eltern zu schaffen machte. Deshalb zog ich die Trennung hinaus, so lange es eben ging.

Nadine hat mir zu keiner Zeit Vorwürfe gemacht, schuld an der Trennung zu sein. Sie hat sehr schnell gemerkt, dass sie für ihren Papa nur so lange sein Liebling war, bis die anderen Kinder auf der Bildfläche erschienen.

Anfangs übte er sein Besuchsrecht noch regelmäßig aus, oder sie besuchte ihn über das Wochenende. Oft gab er sie dann bei seinen Eltern ab und kümmerte sich lieber um sein Liebesleben. Irgendwann wurden die Besuche unregelmäßiger, bis sie schließlich ganz ausblieben.

17.55 Uhr, ein Schlüssel werkelt in der Haustür. Auch so ein Deal, den ich mit Nadine habe und den sie peinlich genau einhält, entweder um 18 Uhr zu Hause zu sein, oder wenigstens kurz anzurufen, wann sie denn kommt. Fröhlich kommt sie auf mich zu, nimmt mich in den Arm und küsst mich auf die Wange.

„Hi Mum.“, flötet sie und wirft sich mit Schwung auf einen der Küchenstühle. Aus ihrer Hot Pants ragt ihr Smartphone aus der Gesäßtasche. „Wie lange es wohl noch dauert, bis sie es verloren hat?“, frage ich mich mit leichtem Kopfschütteln. Und wie sie wieder rumläuft. Ich hasse es, wenn sie ihre weiblichen Reize zu offen zur Schau stellt. Das Crop Top so kurz, dass die unteren Ränder ihrer hübschen Brüste zu sehen sind und die Pants so eng, dass sich ihre Schamlippen sehr deutlich abzeichnen. Ich bin sogar ein wenig neidisch auf ihre festen Hügel, die selbst ohne BH kaum Eigenleben entwickeln, wenn sie sich bewegt. Einen Spruch dazu, der einem Anschiss sehr nahe kommt, kann ich mir nicht verkneifen.

„Lass mich doch, ich habe nichts an mir, was andere Frauen nicht auch haben.“, antwortet sie schnippisch.

„Das stimmt, aber man sieht deine Brustwarzen und deine Schamlippen und ich finde nicht gut, wenn du das so offen zeigst.“

„Mama, das ist bei uns Frauen so. Solltest du wissen. Wir haben nun mal Brüste und Brustwarzen, die anders sind als bei Männern und wir haben nun mal eine Fot … sorry, eine Scheide mit Schamlippen.“

„Und dann wunderst du dich, dass dich die Kerle anglotzen? Oder, dass ihr begrabscht und vergewaltigt werdet?“

„Nur weil ich es zeige, ist das kein Freibrief für die Männer. Jede Frau hat das. Dann dürften wir auch nicht im Bikini ins Bad gehen oder uns oben ohne sonnen.“

„Du sonnst dich oben ohne?“, frage ich entgeistert.

„Oh man Mama, ich meine doch nur.“, verdreht sie genervt die Augen.

Ich weiß, dass ich sie nicht dauerhaft vor allen Dramen dieser Welt beschützen kann und ich weiß, dass sie ansonsten sehr vernünftig ist, was den Umgang mit Jungs angeht. Sie hat einen guten Instinkt für gute und schlechte Menschen. Manchmal ist es fast unheimlich, wenn wir zusammen Menschen beobachten und sie diese dann treffsicher analysiert.

Die Diskussion weiterzuführen macht keinen Sinn, wir führen sie nicht das erste Mal. Sie kennt meinen Standpunkt und ich ihren. Zwecklos. Und dabei ist sie noch so jung und so hübsch, die pure Sünde auf zwei Beinen, die sie aber brav geschlossen hält.

„Schatz, kannst du bitte den Salat waschen und zupfen?“, versuche ich das Thema zu wechseln.

Ich beobachte sie aus den Augenwinkeln. Erwarte Widerworte, wie immer, wenn sie mir bei der Hausarbeit oder beim Kochen helfen soll. Heute steht sie wortlos auf und nimmt sich den Salat und eine Schüssel.

„Und was hast du heute Nachmittag gemacht?“ 

„Erst bin ich durch die City gegammelt und dann habe ich Leon in der Eisdiele getroffen. Er hat mich zu einem Eis eingeladen.“

Fast schneide ich mir in den Finger und lasse das Messer vor Schreck fallen. Es rast Richtung Küchenboden und hätte

fast meinen großen Zeh erwischt, der zusammen mit dem Rest vom Fuß in leichten Sandaletten steckt, bevor es scheppernd auf die Fliesen knallt. Ich versuche den Schreck zu überspielen, der mir brutal durch die Glieder fährt. Dass ich auch noch blass, fast weiß im Gesicht werde, kann ich leider nicht verhindern.

„Welcher Leon?“, frage ich scheinheilig. Natürlich weiß ich, welchen Leon sie meint. Wir beide kennen nur den Einen.

„Stolberg. Er ist nett. Ich habe mich gut mit ihm unterhalten. Irgendwie mag ich ihn. Vielleicht erinnert er mich an Papa, aber er ist ganz anders als der Ladyknacker.“

„Nadine!“, fahre ich sie mit strafendem Blick an.

„Stimmt doch. Der konnte an keiner Möse vorbeigehen, ohne einen Steifen zu bekommen. Leon ist ganz anders. Er ist feinfühlig und sensibel. Er nimmt mich ernst, behandelt mich nicht wie ein kleines Kind.“

Ich weiß genau was sie meint. Genauso habe ich ihn auch erlebt. So sanftmütig, zurückhaltend, respektvoll. Sie hat recht, er sieht zwar aus wie Eddy, mein Ex, aber er ist charakterlich um etliche Klassen besser. Ich muss lächeln und natürlich sind Nadine meine Reaktionen nicht entgangen. Sie steht mit ihrer Hüfte, seitlich angelehnt, an der Arbeitsplatte und grinst unverschämt. Dieses Kind ist nicht nur unverschämt schön, sondern auch klug. Von wem sie

das wohl hat? Von Eddy sicher nicht.

„Wollen wir uns setzen? Das Essen kann warten.“, frage ich meine Tochter.

Ich kann nicht sagen warum, aber plötzlich habe ich das Bedürfnis mit ihr zu reden. Nicht ein Mutter-Tochter-Gespräch, sondern als Gespräch zwischen besten Freundinnen. Aber wie soll ich anfangen und an welcher Stelle?

„Ich hab dich gehört, Mum. Gestern, im Bad. Du hast seinen Namen geschrien, als es dir gekommen ist.“

„Du hast … was … ich … oh man, wie peinlich!“, starre ich sie peinlich berührt mit aufgerissenen Augen an. Warum geht jetzt nicht der Boden auf?

„Muss dir nicht peinlich sein. Nicht nur, dass du es dir selbst besorgst. Auch nicht, dass du dich in ihn verguckt hast. Hast du doch, oder?“

Dieses kleine Biest. Sie hat mich erwischt. Man kann ihr nichts vormachen. Wie so oft, ist ihre Auffassungsgabe unschlagbar. Es ist gut, dass ich mittlerweile sitze. Vermutlich wären mir sonst die Knie weich geworden. Sie sitzt rechts neben mir. Unsere Hände liegen ineinander und mein Blick ruht auf dem Apfel, der in einer Obstschale mitten auf dem Tisch steht. Die Worte, die in meinem Kopf herumschwirren, wollen sich einfach nicht zu entschuldigenden Sätzen formen. Noch zweimal tief durchatmen.

„Du hast mich erwischt. Es stimmt, der Kerl geht mir nicht mehr aus dem Kopf. An dem Dienstag … das war wie … als wenn mir jemand … nein, als wenn mich der Blitz getroffen hätte. Ich kann dich verstehen Nadine, ich mag ihn auch. Glaubst du an die Liebe auf den ersten Blick? Bis letzten Dienstag hielt ich es für ausgemachten Blödsinn. Aber jetzt ist es anders. Und deshalb konnte ich ihn auch nicht weiter behandeln. Allein seine Anwesenheit hätte mich zu sehr abgelenkt und das wäre wenig professionell gewesen.“

„Du bist verknallt oder? Ich kann dich verstehen. Und was hast du nun vor?“

„Was soll ich schon vorhaben. Er ist weg und ich muss ihn wohl vergessen.“

„Warum, du hast doch seine Krankenakte und damit seine Adresse zusammen mit seiner Telefonnummer. Mama, du bist 38 Jahre alt, das kriegst du doch wohl hin, oder muss ich das für dich übernehmen?“

„Untersteh dich, du kleine Rotznase.“

„Wenn du ihn willst, als Liebhaber oder als Partner, dann wirst du das in die Hand nehmen müssen. Von selbst wird er nicht auf dich zukommen. Du hast ihn abgesägt, schon vergessen? Ich weiß, er wäre der Richtige für dich. Dann bräuchtest du auch keinen Dildo mehr.“

„Du bist ganz schön frech, weißt du das? Du erinnerst mich jeden Tag daran, wie ich früher war. Ich hab dich lieb.“

„Ich dich auch Mama und jetzt hab ich Hunger.“

Dann steht sie auf, stellt sich neben mich und nimmt mich in den Arm. Nicht flüchtig wie sonst, sondern lange und innig. Sie legt ihre ganze Liebe zu mir in diese Umarmung, was mir ein paar feuchte Augen macht. Mit dem Daumen wischt sie mir die Tränen von den Wangen, sieht mich mit festem Blick an und flüstert: „Schnapp ihn dir Mama, ich gönne ihn dir, er ist ein toller Kerl.“ Im selben Augenblick schlingt sie wieder ihre Arme um meine Schultern.

 

Fortsetzung folgt …

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