Sehen

Der Kuß

Ferdinand Freiherr von der Ferne

Wie der Wind ihr stand, der durch
Seine Heftigkeit ihr Haar so
In Wildheit geraten ließ, daß ihr
Gesicht zu einer nie gesehenen
Ausdruckskraft sich entfaltete –
Der Moment, wo Blick auf Blick traf
Sekundenbruchteilchen eine Flut
Von Überströmen entstehen ließ
In Formen geöffneter Arme
Die sich so schnell schlossen –
Jeweils um einen Körper, fest –
Bis dann langsam, sich behutsam
Lippenpaar auf Lippenpaar
Drückten – fest und feucht – und öffneten
Zu diesem Kuß, der nicht schwieg –
Von vielem wußte – im voraus
Und der doch behielt – alles für sich!


Text: Freiherr Ferdinand von der Ferne

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