Sehen
Freischnitt
Als ob ich es geahnt hätte,
heute Morgen.
Ein letztes Mal wollt’ ich dieses
hässliche Ding tragen.
Alt, rau, grau.
Dabei habe ich es einst
geliebt.
Oder nur,
weil ich ihn geliebt habe?
Weil er diesen Hosenanzug
so an mir gemocht hatte?
Den ganzen Tag schon
sehe ich sie.
Überall im Büro.
Herum liegen.
Scheren.
Sie zwinkern mir zu.
Oder bist Du es,
der mir zuzwinkert?
Als wir, endlich allein,
uns wortlos verständigen?
Dir will ich vertrauen,
mich Dir anvertrauen,
ohne Angst.
Ja, Geliebter, ich weiß,
was Du vorhast.
Ich will es.
Mit verbundenen Augen
ertragen, erleiden.
Genießen!
Einem Schneider,
einem Künstler gleich,
legst Du mich frei.
Auf Deinem Schreibtisch.
Kühl gleitet das Metall
mein Bein hinauf.
Ich weiß nicht, was
mich mehr erregt:
Die Klinge auf meiner Haut
oder
Deine Küsse,
die ihrer Spur folgen.
Deine zarten Hände,
die Zentimeter für Zentimeter
mehr Haut erfühlen
oder
die Augenbinde.
Meiner Sehkraft für den
Moment beraubt,
höre ich Deinen Atem
lauter als gewöhnlich,
fühle ich intensiver.
Höre, wie sich der
Stoff teilt.
Mehr, höher, offener.
Ein tiefer Seufzer.
Befreiung.
Weg mit diesem
Fetzen Stoff.
Weg mit Vergangenem.
Raus aus meinem
Stoffgefängnis.
Komm, Geliebter,
zu mir.
Mit mir.