Sehen

Homo Erectus 2

André Pfoertner

Auf diesen paradiesisch frühen Wegen
Geht eine Frau, als »Shakti« später weit bekannt.
Verführerisch und halb verlegen
Entsendet jene Hominidin ihre Hand,
Zum Busen und zum Po als sanften Boten,
Von Reflektionen auf dem See belichtet.
Noch weiß hier keiner von den zehn Geboten.
Mit vollen Brüsten, aufgerichtet,
Die ihrem Kinn entgegen drängen –
Doch nein, nach vorne beugt sie sich –
Oval-gezogen überhängen.
So kniet sie nieder feierlich,
Den Archetyp der schwarzen Göttin im Gesicht,
Die unergründlich bleibt in ihrer weiblich-fremden Physis,
Sie ist selbst Finsternis, und doch enthält sie Licht
All-Göttin, Kybele, Nacht-Mutter, Artemis und Isis.
Voll Durst schöpft Shakti Wasser, frisch und tropisch.
Das blitzt kristallklar auf in ihren Händen,
Doch damit hat’s mitnichten sein Bewenden!
Denn in dem kühlen Nass treibt’s mikroskopisch
Ein Protistenweib mit einem Hypermastigiden:
Es saugt den geißelschwingenden Soliden
In sich hinein – und ist befriedigt und zufrieden.
Beim ersten Mal erscheint das Liebesspiel sadistisch,
Doch Shakti schluckt’s: Der Trank wirkt atavistisch.

Archaisch meldet sich ihr R-Komplex
Und plötzlich spüren ihre Lenden Lust auf Sex.
Selbst wenn sie beide Schenkel eng zusammenpresst,
Gibt ihr die Mittagswärme auf der Haut den Rest:

Sammohan,
Gefühlsorkan –
Dann eine Hitzewelle subkutan,
Die Shakti blitzgeschwind erfasst –
Sie blinzelt in den Sonnenglast –
Und denkt an Shiva, den Titan.
Würd diesem Pyro-Mann sie wohl gefallen?
Der beste Jäger war er einst von allen –
Da war der schrecklich Wilde noch beweibt
Mit einer schwarzen Feuerbringerin,
Asketisch-schönen Lendenschwingerin.
Doch als sich diese selbst entleibt,
Kann er die Trauer einfach nicht verwinden;
Er sucht den Weg ins Jenseits, um sie dort zu finden.
So wandelt sich der Herr der Tiere zum Schamanen.
Als sie darüber nachdenkt, schmerzt die Stirn, spürt Shakti.
Verbindung zu den Toten – shavasakti?
Was dies bedeutet, kann sie dumpf nur ahnen.
Ein Jenseits ist für Menschen jener Zeit noch vage,
Bewusst bei Nahtod nur und Totenklage.

Hitzeflirren –

Fliegen schwirren.

Ganz aufgewühlt
Ist Shakti und sie fühlt:
Nur sie holt ihn zurück in diese Welt;
Wer, wenn nicht sie, die der geliebten Toten so sehr gleicht
Und einen Körper hat, so wie er ihm gefällt:
Die gleiche dunkle, glatte Haut –
Mit Haar, das bis zur Hüfte reicht;
Ihr Leib ist gleichfalls kurvenreich gebaut,
Ihr Hintern wölbt sich ganz entschieden,
Wächst üppig, anders als bei den Pongiden.
Auch ihre Brust ist viel zu rund für eine Zitze –
Und wie bei Shivas Weib begegnen Frauen ihr mit Hohn
(Die Männer aber bringen ihre Rundungen in Hitze).
Auch dabei ähnelt sie Satī in jedem Ton.
Warum erzeugt dies Spiegelbild wohl solche Lust,
Denkt Shakti, als sie einen Schluck noch trinkt.

Ist sie sich dieser Ähnlichkeit bewusst?
Treibt zum Schamanen sie nur ihr Instinkt?
Kann sie Gedanken auf ein Ziel schon lenken?
Was trennt sie eigentlich von Tieren?
Was kann sie überhaupt mit 150 Worten denken?

Womöglich kann sie über sich schon reflektieren,
Den Unterschied verstehn von Selbst und Ich.
Die Spiegelbildbetrachtung scheint’s zu illustrieren.
Zwar hat sie keinen hohen Sinn fürs Abstrahieren
Und denkt fast immer nur rein bildlich.
Doch dafür hat die Bildershow es in sich!

Soeben vor dem innern Auge sieht sie Ganga,
die’s mit Shiva treibt!
Es keimt geschwisterliche Wut, sie rast vor Eifersucht.
Und sie zerschlägt die Wassersfläche voller Wucht,
Bis von dem Spiegelbilde nichts mehr bleibt.
Ihr ist, als zöge eine Kraft sie auf den Grund.
Auf springt sie und –
Zu Shivas Ashram schweift ihr Blick,
Sein Höhleneingang ähnelt einem weiblich-dunklen Schlitz.
Nur 100 Meter Buschland – Was hält sie zurück?
Ob sie beim Eintritt gleich getroffen wird von einem Blitz?
Was wirkt die Höhlung so naturgetreu und plastisch?
Ihr Unterleib erhitzt, zerfließt; sie spürt es drastisch.
Jedoch: Die Höhle ist tabu – es braucht schon Mut.
Antagonistischer Gefühle Flut!

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