Sehen

Homo Erectus 4

André Pfoertner

Indessen stolpert Shakti in den Erdenschoß –
Sofort wird sie vom Zwielicht eng umfangen –
Die Höhle ist ganz dunstverhangen –
Hier brennt der Hanf in süßen Schwaden.
Sie tastet nach den Wänden atemlos.
Nur leise hört sie noch von draußen die Zikaden.
Am Boden sieht sie Faustkeile,
Von Tieren Knochen;
Geweihteile,
Sie sind zerbrochen,
Aufgeknackt,
Abgehackt
Bisweilen auch im Ganzen;
Aus Ebenholz zwei lange Lanzen
Mit glatt geschabten, scharfen Spitzen –
Im Feuerherd gehärtet durch Erhitzen.
Hauchdünner Film von frischer Asche.
All dies erfasst ihr Sammlerinnen-Blick, der rasche.

Ansonsten liegt das Dunkel ganz im Stillen.
Vielleicht liegt umgekehrt die Stille auch im Dunkeln?
Die Finsternis erregt und weitet die Pupillen.
Entgegen quillt ihr dhūpa, sie sieht’s funkeln.
Hanfblattgenährt zwei Feuerstellen links und rechts,
Kurz züngeln Flammen, Zufalls-agitiert,
Ein Anblick, welcher Menschen schnell magnetisisiert.

Im Zentrum – mit dem Umriss eines riesigen Geschlechts –
Shakti durchzuckt es wie ein Blitz –
Breitbrüstig,
Kampfrüstig,
Ein nackter Mann im Lotussitz!
Er ist’s! Wie gut gebaut!
Es tanzt verliebt der Feuerschein auf seiner Haut.
Siddhasana: Er ist versunken in tapas
Und dieses Bild, spürt Shakti, hat schon irgendwas:
Feuerotisiert,
Göttlich inkarniert –
Verknotet ist die Haarpracht, die sein Haupt schwarz ziert,
Gestählte Muskeln ruhn auf Armen, Schultern,
Rücken, Beinen,
Die ganz gespenstisch-bleich zu leuchten scheinen,
Denn sein gesamter Körper ist beschmiert
Mit kalter, weißer Asche, bhasman.
Dadurch wird er zum wahren Blass-Mann,
Die Stirn mit einem roten Punkt bemalt.

Welch Wärme diese frische Glut abstrahlt –
Dabei steht schon die Sonne im Zenit.
Kein Wunder: Da schwitzt Shakti – und ihr Eremit.

Was Shakti außerdem noch fasziniert
Ist Shivas glattes Kinn. Es ist mir Feuerstein rasiert.
Ist es, damit sein Asche-Antlitz wie ein Schädelbein erbleicht?
Wohl auch damit er bartlos dem Gesicht der feurigen
Verlornen gleicht?

AUM! Summt Shiva monoton-hypnotisch
AUM! Dann Stille, mukā, Atmen, prāna,
Vom Diesseits losgelöst durch Meditieren, dhyāna.
Auf Shakti wirkt dies überaus erotisch.
Er ist ein Pyrosoph, ein Feuerkenner –
Ein wahrer Mensch, der Beste aller Männer!
Meditativ entrückt erhellt ein Lächeln sein Gesicht.
Geschlossne Augen ... sehen Shakti nicht.

Doch –
Kann er, auch ohne Sehen, schauen
In dieser momentanen Ruhe, der Titan?
Es packt sie leises Unbehagen, Grauen.
Kann er Scham ahnen, der Schaman?
Und dennoch weicht sie nicht zurück:
Dies Monument der maskulinen Stärke
Fixiert gebannt ihr Frauen-Blick:
Den Oberkörper mit den seidig-schwarzen Härchen,
Welche zur weichen Matte sich verdichten in den Lenden.
Im Traum vermeint sich Shakti, oder auch im Märchen.
Gleich wacht sie auf, gleich wird es enden.
Denn weiter abwärts zwischen schwarzen Locken …
Es lässt ihr schier den Atem stocken.
Sie naht sich und sieht explizit:
Ihr Shiva scheint recht fit
Im Schritt –
Das weckt in ihr den Appetit.

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